durch rumänien

ein tag im zug
zwischen budapest und sibiu, 25.10.2004
sibiu H null/modell mit bäumen26.10.2004
reste einer parallelwelt
sibiu, 26.10.2004
now that's what I call capitalism
bukarest, 27.10.2004
"big apple" im osten
bukarest, 28.10.2004
bosporus-express
istanbul, 30.10.2004



ein tag im zug
zwischen budapest und sibiu, 25.10.2004

budapest entlässt uns an einem grauen, feuchten herbsttag. auf gleis sieben des hauptbahnhofs fährt der IC nach bukarest ab: rumänische waggons, braun und angeschmuddelt. während wir über plattes land durch morgennebel fahren, gibt mein schwarzer kuli beim schreiben seinen dienst auf.

da ich die marotte habe, nur in schwarz in mein tagebuch zu schreiben, versuche ich, im zug einen schwarzen kuli aufzutreiben. ich will schlau sein und ihn gegen einen der leuchtend blauen gauloise-kulis tauschen, die uns uli zünkler zum bestechen äthiopischer grenzbeamter mitgegeben hat. der bebrillte kellner im speisewagen hat vielleicht einen, denke ich. ich steh also vor ihm und erkläre ihm meine marotte auf englisch. er versteht kein wort. nimmt meinen gauloise-kuli, kritzelt auf seine hand und siehe da, die tinte ist schwarz. wie peinlich. ich nehm ungläubig den kuli und kritzele nun in meine handfläche. kein zweifel - das teil schreibt schwarz. bin nie auf die idee gekommen, dass ein gauloise-kuli mit leuchtend blauem gehäuse nicht blau schreiben könnte. der speisewagen-mann sieht mich mit einem blick an, als ob er mich für irre hält. er schleudert mir noch ein ungarisches wort entgegen, und ich trete schnell den rückzug an.

an der rumänischen grenze ist erst einmal stillstand angesagt. es ist offensichtlich, dass die EU hier endet: ein heer von grenzbeamten und bahnpersonal entert den zug. der grenzbeamte macht den ersten stempel dieser reise in unseren pass, der zöllner fragt uns nach mitgeführten pistolen, geschenken und rumänischen lei (die währung dort), die schaffnerin redet rumänisch auf mich ein, auch dann noch, als ich auf englisch bekunde, nichts zu verstehen...

dann das wunder: hinter der stadt arad öffnet sich zum ersten mal nach 1700 bahnkilometern eine landschaft, die nicht einfach nur platt, sondern von saftig grünen hügelketten durchzogen ist, der herbst hat noch nicht begonnen, die luft ist warm, die durchs offene fenster hereinströmt. ich schau auf die uhr. noch eine halbe stunde bis deva, wo wir umsteigen müssen. letzte gelegenheit, ungarisches kleingeld im speisewagen loszuwerden.

ich pirsch mich hin, versuche, vom kellner unbemerkt, einen blick in die speisekarte zu werfen. der hält mich sowieso schon für bescheuert. aha. fritten für 300 forint (1,20 euro). ich geh zurück ins abteil, hole unseren blechteller. wieder zurück zum kellner, der inzwischen mit rumänen bier trinkt. ich bedeute ihm, die fritten in den teller hinein haben zu wollen. er verschwindet in seiner küche. dann passiert nichts mehr. ich schau nervös auf die uhr. noch 20 minuten. von wegen: die ausläufer von deva kommen in sicht. ich frag den dösenden schaffner, ob das deva sei. ja, sagt er.

was ist mit den fritten? ich stecke meinen kopf in die küche. der kellner sieht mich, ich versuch ihm zu erklären, dass ich die fritten jetzt sofort brauche. er winkt mich an den herd, auf dem in einem sieb im siedenden fett die fritten schlapp werden. sind die gut genug für dich, bedeutet er mir? der zug fährt in den bahnhof ein. er schüttet mir die fritten auf den blechteller. der zug hält. woldo ist mit dem gepack vier waggons entfernt. ich nehm den frittenteller in beide hände und drängle mich durch ein- und aussteigende. das geht nicht schnell genug. ich steig aus und renne den bahnsteig entlang bis zum ersten waggon hinter der lok, den frittentelle balancierend. woldo hat das gepäck in die tür geschafft. der schaffner pfeift. es ist furchtbar. noch die jacken aus dem abteil gegriffen, rausgesprungen, und der zug fährt ab.

dann atmen wir durch, lachen und essen auf dem bahnsteig erst mal unsere fritten. der bahnhof ist fürchterlich. er erfüllt alle klischees von südosteuropa: ich komm mir vor wie in "schwarze katze, weisser kater". autos, die schon seit jahrzehnten nicht mehr fahren dürften, bettelnde kinder mit schwarzen nackten füssen. wir trinken einen halben liter bier für 30 cent. in den rillen des bierglases aussen klebt schwarzer schmuddel. die frau an der bierausgabe lacht - lacht sie mich gar aus?

immerhin: die bank, in der ich geld tausche, hat jeden tag bis 18:30 uhr auf. nicht solche behördenzeiten wie unsere geldhäuser. nach dem bier gehen wir auf bahnsteig 3. kurz bevor unser zug kommt, fährt hier ein anderer ein. er fährt auch nicht weg, als unser zug kommt - auf gleis 2. was nun? wir greifen unser gepäck, in den zug auf gleis 3 rein, auf der anderen seite wieder raus, woldo schrammt sich das schienbein dabei an. in rumänien darf man gottseidank auf beiden seiten ein- und aussteigen. nicht so in unserem zug, so ein ultraneues teil von siemens, gegen den jeder deutsche IC abstinkt. hier gehen die türen nur auf einer seite auf. was ist hier los? wir hechten zwischen den zügen entlang, um unseren herum und dann sind wir endlich drin. bis sibiu passiert nichts mehr. wir sind da, nach 12 stunden. -nbo


Sibiu H null/Modell mit Bäumen
26.10.2004





Das ist es also, das sagenumwobene Transilvanien. Vom Turm in Hermannstadt schauen wir über ein wippendes Meer aus roten Schindeldächern, am Horizont die Bergkette der Karparten. Ein idyllisches kleines Örtchen, in dem sich gerade allerhand tut. Restaurierungsarbeiten an jeder Ecke, ganze Strassen aufgerissen. Auch der grosse Marktplatz soll bis 2007 neu gepflastert werden. Bis dahin wird geschuftet, was das Zeug hält. Und dann ist es soweit: Rumänien tritt der EU bei und Hermannstadt ist Kulturhauptstadt Europas. Mag man heute noch gar nicht glauben, denn bislang wirkt es eher wie ne Ritterburgen Stadt von Playmobil. Ein belebtes Rothenburg ob der Tauber mit erstaunlich vielen Jugendlichen, an denen sich Graf Dracula des nächtens gütlich tun kann. nach Diktat verresit -dwo


reste einer parallelwelt
sibiu, 26.10.2004

am bahnhofsgebäude steht "sibiu". aber jahrhunderte lang ist dies "hermannstadt" gewesen, die quasi-haupstadt von siebenbürgen. eine von zwei regionen auf der welt, wo man eine art deutscher "expatriat"-kultur findet (neben namibia). für deutsche ist es ja eher seltsam, in der ferne auf einheimische zeitungen in der eigenen sprache zu stossen (wie die "hermannstädter zeitung" oder die "allgemeine deutsche zeitung" aus bukarest), oder in geschäften von einheimischen immer wieder auf deutsch angesprochen zu werden.

wen's interessiert: hier ist die vorgeschichte. im 12. jahrhundert wurden vom könig von ungarn siedler aus dem rheinland in das land hinter dem wald (=transsilvanien) angeworben, die sich als bauern und handwerker niederliessen. sie unterstanden nur ihm und keinem fürsten oder adligen sonst, ziemlich einmalig im mittelalter. bis ins 19. jahrhundert ist dieses als "siebenbürgen" bezeichnete gebiet dann ein eigenes staatliches gebilde unter ungarischer krone gewesen, das drei "nationen" umfasste, ungarn, szekler und sachsen (obwohl es ja eigentlich rheinländer waren). 1557 beschloss der siebenbürger landtag als erste region in europa die gleichstellung von protestanten und katholiken - lange vor dem 30-jährigen krieg, als sich beide den kopf einschlugen, und noch länger,  bevor der "alte fritz" in preussen die religionsfreiheit gewährte. von wegen hinterwäldler...

als nach dem ersten weltkrieg die K.u.K.-monarchie zerfiel, entschieden sich die sachsen (ebenso wie banater und sathmarer schwaben) als erste nichtrumänische minderheit dafür, sich dem rumänischen staat anzuschliessen und diesen als den ihren zu begreifen. höchst bemerkenswert zu einer zeit, in der die deutschen "zuhause" längst vom nationalismus zerfressen waren. von wegen hinterwäldler...

die grosse abwanderung setzte im zuge des zweiten weltkrieges ein, denn in den 30er hatte dann auch der nationalsozialismus in siebenbürgen fuss gefasst, was rumänen und russen (als besatzungsmacht in rumänien) nicht vergassen. heute gibt es vielleicht noch 40.000 rumäniendeutsche von einst 800.000. doch die einstige deutsche parallelwelt ist noch nicht ganz verschwunden: wer die hermannstädter zeitung liest, findet berichte aus kronstadt, nicht brasov, aus klausenburg, neppendorf oder schässburg...

in der buchhandlung "friedrich schiller" in hermannstadt liegen gedichtbände von rumäniendeutschen aus, und die architektur erinnert eher ans alpenvorland als an süd(ost)europa. leute heissen hier immer noch klein, wagner oder wittstock mit nachnamen. inzwischen kommt deutsch sogar wieder in mode. wie uns toni aus potsdam, der im hermannstädter kulturamt ein praktikum macht, abends im art cafe erzählt, gebe es einen richtigen run auf deutschkurse. im hintergrund läuft dabei miles davis' "doo bop". nostalgie ist überflüssig: siebenbürgen war gestern, europa ist heute. -nbo

now that's what I call capitalism
bukarest, 27.10.2004


zum beeindruckenden zeugnis kapitalistischer produktivitätssteigerung in rumänien gerät uns die taxifahrt vom bukarester nordbahnhof zum hotel in der innenstadt. die frau von der rezeption hatte mich am telefon schon vor den "falschen" taxis gewarnt. "sie müssen unbedingt in ein gelbes taxi einsteigen und darauf achten, dass der taxameter eingeschaltet wird." gesagt, getan.

wir steigen zielstrebig ins erste gelbe taxi der langen reihe vorm bahnhof. der fahrer schaltet brav das taxameter an und heizt dann wie eine gesengte sau los. tja, und dann fängt das taxameter an zu spinnen: etwa im 5-minuten-takt tickt es sich zu immer absurderen preisen hoch. toller tip vom hotel, denke ich. als wir ankommen, stehen 400.000 lei auf der anzeige (etwa 10 euro). das ist etwa so, als ob wir vom dammtor nach st. pauli 70 euro bezahlt hätten. nach dem offiziellen kilometerpreis von 8.000 lei hätten das höchstens 50.000 lei werden können. ich steig aus und beäuge misstrauisch den wagen. 30.000 lei pro kilometer steht da in zahnfarbener schrift auf gelbem grund auf der tür, das kann man in der funzelbeleuchtung auf dem bahnhofsvorplatz ja auch gut lesen.

das dumme: das ganze ist kein beschiss. "seit der liberalisierung des taxigewerbes vor zwei jahren kann jeder so viel verlangen, wie er will, und trotzdem sein taxi in der offiziellen farbe gelb anmalen", klärt uns der hotelrezeptionist gelangweilt auf. nach zehn tagen haben wir also unser erstes "schwundgeld" zu beklagen.

aber irgendwie ist das doch auch beeindruckend. der taxityp verdient also acht bis zehn mal so viel pro zeit wie andere offizielle taxen. da kann er leicht verschmerzen, dass kein bukarester je bei ihm einsteigen wird. er arbeitet einfach effizienter als seine kollegen und hat mehr freizeit. 2007, wenn rumänien in die EU kommt, wird es uns zeigen, was ein aufschwung ist. und man muss nicht mal mehr länger arbeiten, wie uns unsere wirtschaftsvertreter seit monaten weismachen wollen. einfach mehr geld für wertarbeit verlangen. -nbo

PS: ich habe das taxi am übernächsten tag kurz vor unserer abfahrt nach istanbul wieder vor dem bahnhof gesehen und das "beweisfoto" oben gemacht. der taxifahrer kam sofort wütend raus und stellte mich zur rede. als ich noch wütender entgegnete, er habe uns vor zwei tagen abgezockt, ich erkenne sein gesicht wieder, drehte er sich abrupt um und verschwand zurück in sein taxi.


"Big apple" im Osten
bukarest, 28.10.2004





Hier wird nicht geschlendert, hier gehts zur Sache. Rastloses Treiben und wild pestender Verkehr in den Strassenzügen in Downtown. Nichts Gemütliches, geschweige denn Liebenswertes. Streunende Köter rivalisieren mit barfüssigen Strassenkinderm um Essbares. Diese Stadt ist tough und spröde, ein brodelnder brutaler Moloch. "Hast Du's hier geschafft, dann schaffst Du's überall.", um good old Frankie zu zitieren. Sozialistische Monumentalbauten, die die ehemalige Altstadt unter sich begraben neben Prunkbauten aus früheren Epochen.

Aus dem Himmelreich der Trinker, einer gigantischen Bierhalle mit hohen Gewölbedecken und Freskenmalereien wankt uns nachts ein Betrunkener entgegen, gepflegter Anzug, in jeder Hand ne Flasche. Nach einigen Lallungen kriegen wir mit, dass es sich um einen Russen handelt. Er will unbedingt mit uns anstossen. Während wir uns zuprosten lallt er auf uns ein. Zum Abschied werden wir geherzt und gedrückt, bekommen segnend seine Hand aufgelgt und ziehen mit der Falsche Wein von dannen, die er uns grosszügig überlassen hat.

Komischerweise haben wir ausgerechnet in dieser viertel Stunde das Erdbeben verpasst, wie wir am nächsten Morgen in der Zeitung lesen. Immerhin Stärke 6 auf der Richterskala. Nix gemerkt. Der Russe hat's wohl weggesegnet. nach Dikat verreist. -dwo


Bosporus-Express
Istanbul, 30.10.2004

14:00 Uhr, wir steigen in den Zug, der uns in sage und schreibe 20 Stunden nach Istanbul bringen soll, für eine Strecke von ungefähr Hamburg bis München. Unser Schlafwagen entpuppt sich als marodes Klappergestell. Na denn, gute Nacht! Schäbig und voll auf den Hund gekommen. Aber dass das noch zu steigern ist, weiss ich, als ich aufs Klo gehe. Uhbah! Eine bestialisch stinkende Kloake, der man die Spuren der Menschheit nur allzu deutlich ansieht. Aber was solls. Wer muss, der muss. Akrobatische Toilettenturnübungen, André Heller lässt grüssen. Männer habens da echt einfacher!

21:00 Uhr, Schlafen befohlen! Unsere "Betten" werden ausgeklappt. Neben uns im Abteil wird schon deutlich hörbar geschalfen, der Typ schnarcht wie nichts Gutes.

In stockfinsterer Nacht, um viertel vor zwei, wird wie wild an unserer Abteiltür gerüttelt. "Passports!". Ah, die Grenze Bulgarien-Türkei. Die Pässe werden gestempelt und nach ner guten Stunde nehmen wir erneut Fahrt auf. OK., weiterschlafen, so gut es geht bei dem Geklappere und Geschaukel.

Aber denkste! Wieder werden wir barsch wachgedroschen. "You have to go for visa!". Achso, also dann, Anziehen, raus auf den Bahnsteig, in die Schlage stellen und vom türkischen Grenzbeamten nen Stempel abholen. So, nun aber. Wieder ein ins Abteil, Klamotten aus. Der zweite Versuch einzuschlafen. Hah, weit gefehlt. Nach 40 minütigem Aufenthalt an der Grenzstation meinen die türkischen Grenzbeamten jetzt nochmal jeden auf seinen Stempel im Pass kontrollieren zu müssen. Verstehe das, wer wolle.

Dann endlich, aller guten Dinge sind drei, die letzten 5 Stunden bis Istanbul lassen sie uns dann doch ungestört schlafen, danke. Woher der Zug seinen gloreichen Namen hat, ist mir ehrlich gesagt völlig schleierhaft. nach Diktat verreist -dwo


chronik

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hamburg – istanbul
istanbul – dahab
dahab – wadi halfa
wadi halfa – addis
addis – nairobi
nairobi – nungwi
nungwi – kyela
kyela – tofo
tofo – kapstadt

gedanken
was ist reisen?
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