ägypten

von aqaba nach nuweiba: die boat-people-erfahrung, 17.11.2004
luxus
dahab, 18.11.2004
ABBA und die wasserpfeife
dahab, 19.11.2004
intellektuellen-stammtisch, oder: SPIEGEL-lektüre am roten meer
dahab, 20.11.2004
snapshot #4
dahab, 20.11.2004
tatooine
dahab, 21.11.2004
besuch der eisheiligen
dahab, 21./22.11.2004
no sleep till cairo
23./24.11.2004
düfte der grossstadt
kairo, 24.11.2004
phiesta in kairo
24.11.2004
die pyramiden
kairo, 25.11.2004
der unterschied zwischen hannover und kairo
25.11.2004
freitag in kairo, oder: was das leben hier so kosten kann
26.11.2004
haste töne
kairo, 26.11.2004
oase mit eurozeichen in den augen
farafra, 27.11.2004
dali-land
farafra, 28./29.11.2004
der alchemist von dakhla
29./30.11.2004
welcome to schergiland
luxor, 3.12.2004
ein paar gedanken am nil (das leid mit der "leitkultur")
assuan, 5.12.2004
servicewüste ägypten
assuan, 5.12.2004
auf in den sudan!assuan, 5.12.2004
die traurige arche
wadi halfa, 6./7.12.2004



von aqaba nach nuweiba: die boat-people-erfahrung
17.11.2004

"you take fast boat or slow boat?" fragt uns der mann in der cafeteria im hafen von aqaba, als sich ein haufen wartender zum ausgang bewegt. "slow boat", antworte ich. und dann erleben wir mal, was langsamkeit bedeuten kann. um viertel vor zwölf mittags gehen wir an bord der fähre nach nuweiba (ägypten, sinai-halbinsel). der typ am fahrkartenschalter hat behauptet, das boot lege um zwölf ab. nichts da.

in den nächsten zwei stunden füllen sich erst mal die decks mit passagieren, bis auch der letzte quadratmeter belegt ist (im innern ebenso). es müssen locker 1000, 1500 menschen an bord sein. um zwei uhr fahren langsam die busse und laster in die fähre. um halb vier schauen selbst die araber auf die uhr. um halb fünf legen wir ab. es ist eine übung im nichtstun. jordanische dinar haben wir keine mehr, die cafeteria hat noch nicht auf. so sitzen wir stundenlang, ein königreich für ein bier, zu kauen haben wir auch nichts mehr, also rauchen wir hin und wieder ein zigarette, wie all die kettenraucher von arabern um uns herum. die sonne wandert, wolken ziehen auf, container werden auf dem kai hin und her gefahren, menschen kommen an bord.

wir betreiben notgedrungen zehenstudien. das ist kein spass. ich frage mich, ob die männer ihr leben lang keinen blick auf ihre füsse werfen. fussnägel, die lang wie schaufeln sind oder gar zerbröseln, rissige schwarze füsse. es sind wohl gedanken, die nur ein westlicher städter haben kann.

hinter uns liest ein junger typ singend koransuren vor. viele männer tragen das weisse gewand der mekka-pilgerer, offenbar sind sie auf dem rückweg von ihrer hadsch. der koran ist das einzige buch, das hier auf deck gelesen wird. als wir ablegen, beginnt ein junger vollbärtiger brillenträger mit strengem gesichtsausdruck, laut irgendetwas auf arabisch zu deklamieren. die menge wiederholt seine sätze im chor, und er fährt mit der intensität eines predigers fort. ich verstehe nur ein wort, safir, "reisend". eine halbe stunde später ertönt irgenwo auf dem deck ein sprechgesang. die weissgewandeten versammeln sich auf dem helikopterlandeplatz zum gebet. das halbe deck neigt sich in der abenddämmerung gen mekka. es ist unglaublich.

noch unglaublicher ist die ankunft in nuweiba. als wir uns bis zu den türen auf dem untersten deck vorgearbeitet haben, finden wir diese verschlossen vor. die besatzung hat sie kurzerhand abgeschlossen, damit erst mal die laster und die passagiere aus dem innern von bord gehen können. die menge vor den türen auf dem schmalen decksgang wird grösser, flüche sind zu hören, einige fangen an, sich im gedränge zu beschimpfen. es geht nicht vor und zurück, wir stehen körper an körper, wobei die frauen zum teil riesige pakete auf ihren köpfen balancieren. zehn minuten vergehen, zwanzig minuten, eine halbe stunde, die stimmung droht umzukippen. tausend mann warten an deck und dürfen nicht von bord. es ist so ein augenblick, in dem menschen zur gegängelten masse werden und vieles passieren kann.

als ein steward nach einer dreiviertel stunde die tür aufschliesst, hebt der ansturm sie fast aus den angeln. jetzt bloss nicht stolpern, geschweige denn hinfallen. nach einer weiteren viertelstunde geschiebe durch enge gänge, in denen bereits die abgase der abfahrenden laster stehen, sind wir draussen. und fix und fertig. neun stunden auf einer überfüllten fähre für eine überfahrt von schlappen 80, 90 kilometer. eine schreckliche übung in langsamkeit. -nbo


luxus
dahab, 18.11.2004





so, jetzt wollen wir euch mal so richtig den mund wässrig machen. während ihr im trüben feuchtkalten herbst hockt, relaxen wir auf kissen am roten meer. dahab, das ist die maximale entschädigung für den boat-people-trip gestern. auf der anderen seite blicken wir auf das ufer der freudlosen. die küste gehört schon zu saudi-arabien, wo ausser rauchen alles, was spass macht, verboten ist: kino, bier, fotografieren, öffentliche musik, westfernsehen, mit einer unverschleierten, unverheirateten frau flanieren... wir dagegen gönnen uns nach fast fünf wochen unseren ersten banana pancake, dieses schlimmste klischee der travellerkultur. er schmeckt toll. -nbo


ABBA und die Wasserpfeife
Dahab, 19.11.2004





Die Seele baumelt, die Wellen brechen sich seicht am vorgelagerten Riff. Wir sind angekommen in der Pension Jasmine in Dahab am Roten Meer. Hier gehts richtig peacig zu, die Leute lümmeln sich entspannt auf Kissenlandschaften aus Kelims und Kamelhaarkissen, die bis ans Wasser reichen. Alles lacht, die Sonne, das Gemüt, Haut, Haare und vor allem die Füsse. Unser sehr eingeschränkter Aktionsraduis besteht aus ca. 150 Metern, vom Bett in die Lümmellandschaft, ins Meer und wieder zurück. Es gibt nichts zu entscheiden, nicht wann, wo, welcher Bus, Minibus oder Service-Taxi uns zum nächsten Etappenziel der Reise zu nehmen ist. Rein gar nichts, nur ob mal wieder Schatten angemessen wäre, oder ob man sich weiterhin in der Sonne fläzen soll.

Nach 5.625 km zurückgelegter Wegstrecke die wohlverdiente Kurpackung für die Seele. Eine Augenpause nach dem zugegebenermassen oft anstrengenden "Städte-Essen" des letzen Monats: Ankommen, Verdauen, Ausscheiden und Weiterfahren in die nächste Stadt. Hier in Dahab gönnen wir uns mal eine kurze Auszeit vom Reisen. Das mag sich vielleicht für den ein oder anderen merkwürdig anhören, aber es tut Not. Wie Ulla Meinecke einst schon sang "Schlendern ist Luxus". Wir hängen einfach mal entspannt ab.

Am dritten Abend bestellen wir uns nach dem Essen eine Honig-Sheesha, die wir in einer dreiviertel Stunde weghecheln. Wir saugen so heftig an dem Ding, dass unsere Wangen zu hohlen Kuhlen werden und uns fast die Augen aus dem Kopf treten. Wir müssen zum Brüllen komisch ausgesehen haben, aber das Teil wollte einfach nicht richtig ziehen, dachten wir. Ein fataler Irrtum, der uns am nächsten Morgen mit leisen Kopfschmerz weckte.

In horizontaler Schräglage geniessen wir sechs Tage lang das Nichtstun, bestellen Pancakes in allen Variationen und zwischendurch bewegen wir uns auch mal. Aus den Boxen dröhnt zeitweise ein unentschlossenes Potpourri aus Gipsy Kings, ABBA und dem Royal Symphonic Orchestra und dann wieder richtig coole Mucke. Hier lässt es sich aushalten, hier ruft alles nach Entspannung und Auftanken und wir betreiben es exzessiv. Der Berg Moses kann warten. Und kommt er nicht zu uns, so gehen wir zu ihm. Morgen, übermorgen? Mal sehen... nach Diktat verreist -dwo


intellektuellen-stammtisch, oder: SPIEGEL-lektüre am roten meer
dahab, 20.11.2004

in unserer kissenburg am strand kommt jeden tag ein zeitungsverkäufer vorbei. in seinem wägelchen liegt die internationale presse. obenauf der aktuelle SPIEGEL mit dem titel "allahs rechtlose töchter - muslimische frauen in deutschland". das muss ich lesen, keine frage nach unseren wochen im nahen osten.

als ich die titelstrecke durch habe, kann ich mich einer gewissen empörung nicht erwehren. die gilt aber nicht nur den schicksalen der dort beschriebenen türkinnen - andere muslimische frauen kommen darin nicht vor -, sondern auch und nicht zu knapp dem gehobenen stammtischniveau des SPIEGEL. ich kann mir lebhaft vorstellen, wie chefredakteur stefan aust sich in der rolle des tabubrechers gefällt, der eine längst überfällige debatte beflügeln will.

was der SPIEGEL jedoch glänzend schafft, ist nicht etwa eine nüchterne, kritische analyse muslimischen lebens in deutschland, sondern die aufstachelung zum "kampf der kulturen" auch bei uns. nach dem motto "bad news is good news" finde ich auf 30 seiten nur horrorgeschichten. kein wort darüber, wieviel türkinnen zufrieden in der bundesrepublik leben.

ich sehe ergün von mr. kebap und seine schwester vor mir und frage mich, was sie davon halten. keine differenzierung zwischen dem dumpfen anatolischen landislam und den türkischen islamistischen gruppen, die unter dem kopftuch zum teil eine ganz eigene form des feminismus verfechten. 

da ich günter seuferts hochinteressantes buch "cafe istanbul" von 1998 (in istanbul gekauft) gelesen habe, weiss ich, dass zwischen beiden welten liegen. im SPIEGEL-artikel wird alles in einen topf geworfen, ein paar radikale vom schlage mohammed attas werden auch noch hinzugefügt, "türkischer islam" draufgeschrieben und deckel drauf.

dazu zieht sich eine geradezu paternalistische haltung durch den text, die deutschen (politiker) müssten die türkinnen befreien. alice schwarzers expertenstimme sichert das ganze gegen die blöden grünen multikulti-naivlinge ab (wo gibt es die überhaupt). erst im letzten absatz steht: "emanzipation kann man nicht verordnen, die muslimischen frauen in deutschland werden sie sich erkämpfen müssen."

aber da ist der stammtisch längst am schäumen, und das vermutliche ziel der strecke, nämlich gegen einen EU-beitritt front zu machen, erreicht. denn warum sonst kommen nur türkische muslimische frauen darin vor und keine arabischen oder persischen? warum kann man der türkischen community eigentlich nicht ihre eigene kulturrevolution zutrauen, so wie die europäer auch ohne hilfe von "oben" oder "aussen" ihre 68er hatten? dieselben probleme gab es bei uns vor noch gar nicht so langer zeit auch, von wegen vorgeschriebene ehen oder religiöse borniertheit (man denke nur an heinrich bölls "ansichten eines clowns").

das zentrale problem von deutscher seite ist vielmehr, dass die bundesrepublik sich noch immer nicht als einwanderungsland versteht. dieser fehler wird en passant im SPIEGEL-text der schröder-regierung in die schuhe geschoben, dabei war es die kohl-regierung und nach 1998 der CDU/CSU-dominierte bundesrat, die den schritt vom ethnischen deutschland zum einwanderungsland BRD (ich schreibe das bewusst in analogie zu USA, dem klassischen einwanderungsland) blockiert haben. eine in der BRD geborene türkin hätte mit einem automatisch vergebenen pass ganz andere möglichkeiten, nach einem bruch mit ihrer familie ihr leben selbst in die hand zu nehmen.

dann kommt noch ein interview mit harry mulisch, schriftsteller aus holland, weil dort ja gerade die koranschulen brennen. der hat ausser der tatsache, dass seine eltern auch einwanderer waren (zitat: "Er [der Vater] hat eben keinen Gott im Gepäck." !!!) nichts erhellendes zur problematik zu sagen. interessant ist aber, wie die SPIEGEL-redakteure mit suggestivfragen aus mulisch antworten herauskitzeln wie diese am ende des interviews: "Aber was ist die Alternative? Die hiesse Krieg."

Da ist er wieder, der "unvermeidliche" kampf der kulturen. nach diesem titel steht doch jeder türkische mann in deutschland unter verdacht. eine unverschämtheit. dass ich junge türkische machos, die auf der strasse breitbeinig daherstolzieren, nicht mag, steht auf einem anderen blatt. ihre deutschen gegenstücke sind mir genauso zuwider.

mein fazit: wieder ein grund mehr, den SPIEGEL zu boykottieren. eine journalistische bemerkung noch: auf seite 62 des artikels steht in der infografik, 1,9 mio. türken lebten 2003 in der bundesrepublik. drei spalten weiter ist im text die rede von 2,5 mio. wie nun? dann lese ich doch lieber den intelligent konservativen ECONOMIST. -nbo 


snapshot #4
dahab, 20.11.2004

in der sphinx-bar mit palmengarten am strand steigt die party der woche in dahab. ein komisches volk versammelt sich hier. westler, die fun suchen und sich über die lächerlich billigen drinks freuen, und ägypter, die sich auch irgendwas von diesem nightlife versprechen. die männer tragen stranduniform: beutelige skater-shorts mit dicken aufgenähten taschen, die frauen sind seltsam gekramt. der DJ ("from sharm", wie er angekündigt wurde, wie um seine qualität unter beweis zu stellen), spielt diesen faden neuen hiphop ohne groove oder hammerbeats vom schlage "I can't get no sleep" von faithless, docht die leute stürmen trotzdem die tanzfläche. party muss sein. man ist hier schliesslich, um sich vom kapitalistischen alltag zu regenerieren. dahab ist ebenso der globalisierte reparaturbetrieb für funktionalisierte individün wie goa, koh phangan oder mykonos. keine spur von phiesta. nur bei outkasts "hey ya" reisst es woldo und mich für ein paar minuten aus dem korbsessel. aber dann ist der spirit auch schon wieder verflogen. wir gehen lieber um ein uhr nachts in den supermarkt und schauen, was in den regalen liegt. auch eine lustige samstagabend-beschäftigung. -nbo

tatooine
dahab, 21.11.2004





der sinai ist eine trostlose felshalde. seit jahrhunderten rieseln granitblöcke von den bergen und bleiben in baumlosen tälern liegen. am tag brennt die sonne, nachts wird es scheisskalt. und schon wieder ein film-flash: im geiste sehe ich eine banta-karawane um die ecke eines tales biegen, so wie in star wars 1 auf "tatooine". die westler suchen in dieser einöde wie überall ihren wahren neuen gott: die sonne. beten sie entweder am strand an oder steigen auf einen berg, um sie aufgehen zu sehen. alle anderen götter sucht man hier vergebens. nach all den jahrtausenden seit moses ist hier nur der sonnengott übriggeblieben. -nbo


Besuch der Eisheiligen
dahab, 21./22.11.2004





"Bring a jacket, it's getting cold up there", rät uns Rabia'a Arabi, unser Pensionsmanager, der schon bei 24 Grad mit dicker Lederjacke rumläuft. Seinem Rat folgend ziehen wir also dick eingemummelt los zu unserer Nachtwanderung auf den 2.285 Meter hohen Berg Moses.

Als wir um halb zwei nachts aus dem Minibus steigen, schlägt uns schon eine ungewöhnlich kühle Brise entgegen. In Fleecejacken und Bommelmützen machen wir uns auf, um im Stockdunkeln die letzten 950 Höhenmeter zu bezwingen, immerhin ungefähr 50 mal die Stufen zu unserer Wohnung rauf. Schwer damit beschäftigt im Licht der Taschenlampe einen sicheren Tritt zu finden, höre ich das Schnaufen der Kamele in meinem Nacken, die uns die Beduinen für den Aufstieg unentwegt feilbieten. Der reinste Höcker-Highway. Kamelpöter vor mir, Kamelnüstern hinter mir, Kamelhüften in Stirnhöhe neben mir. Man muss höllisch aufpassen, um nicht vom Trampelpfad geschubst zu werden.

Je höher wir kommen, desto mehr freue ich mich über jedes Läppchen Stoff am Körper. Es wird beissend kalt, ein Temperaturunterschied zur Küste von 30 Grad. Auf dem Gipfel soll uns dann der Sonnenaufgang belohnen, aber Geduld, noch ist es nicht so weit. Wir suchen uns ein stilles windgeschütztes Eckchen und in Windeseile hat sich eine Menschenmenge von ca. 200 Leuten, die meisten davon Russen, auf der Bergspitze eingefunden. Wir alle haben den Blick gen Osten gerichtet.

Und endlich, nach 45-minütigem regungslosen Warten in Eiseskälte, in denen ich mich schon damit abgefunden hatte, wie Reinhold Messner mit vier Zehen weniger in mein irdisches Leben zurückzukehren, passiert das Unvermeidliche: die Sonne geht auf. Die Meute zückt die Kameras und es gibt ein Blitzlichtgewitter. Kurz darauf ist dann schon wieder alles vorbei und man macht sich an den Abstieg. Wir bleiben noch etwas sitzen und versuchen sanft, unseren nahezu erfrorenen Gebeinen neues Leben einzuhauchen.

Aus der Ferne hören wir plötzlich leisen, wunderschönen Gesang, der aus der kleinen Gipfelkapelle zu kommen scheint. Lassen sie hier etwa jeden Tag zum Sonnenaufgang ein Band laufen? Wir öffnen das kleine Holztürchen und stehen mitten in einer russisch-orthodoxen Messe. Frauen knien singend auf dem Boden. Der Pfarrer, mit demselben gutmütigen Gesicht, wie ich mir in Kindertagen immer den Weihnachtsmann vorgestellt habe, hält in brummigem Russisch seine Andacht. Ein einmaliges, entrücktes Erlebnis hier in 2.285 m Höhe, das sich die meisten Sonnengläubigen entgehen lassen, weil sie schon wieder runtermarschieren. Es gibt sie also doch, die kleinen, feinen Begebenheiten abseits der Touristenströme.

Das Katharinenkloster im Tal fällt unserer Müdigkeit zum Opfer. Nach 24 schlaflosen Stunden, in denen wir nebenbei noch Hochleistungssport betrieben haben, kann uns weder der Mosesbrunnen noch der brennende Dornbusch vom Hocker hauen.

Bleibt nur noch die Frage, wie es die Mönche hier in den eisigen Höhen aushalten ohne die Thermosystemunterwäsche aus dem Tchibo-Magazin. Haben sie womöglich eine üppige Ganzkörperbehaarung oder singen sie sich in Trance? Wir sind heilfroh, dass wir wieder  runter dürfen in den 25 Grad warmen ägyptischen Winter, zurück in die Bikinizone nach Dahab. nach Diktat enteist --dwo


no sleep till cairo
23./24.11.2004





21:30 h. wir verabschieden uns vom jasmine-team in dahab: dem barmann, der uns schon am ersten abend gras verkaufen wollte, dem besitzer rabia und seiner rechten hand, dem maitre d', den wir "walter von dahab" getauft haben, weil er uns an unseren freund mr. walter in berlin erinnert, dem jungen mit der zahnlücke, der immer einen kleinen, versteckten witz auf den lippen hatte. was für eine nette truppe.

auf der strasse wartet der minibus, der uns zum nachtbus bringen soll. gepäck wird eingeladen, doch halt, wo ist meine jacke? mit woldos pass drin! (mein pass steckt in meiner hosentasche). alarm. ich erinnere mich dunkel, dass ich sie gegriffen habe als wir vorhin vor dem essen noch mal rausgegangen sind. liegt sie im internet-cafe? wir also dorthin. da liegt sie nicht. jetzt wird mir etwas flau. das wär der GAU.

oder habe ich sie in dem kleinen bankbüro nebenan liegenlassen? das längst geschlossen ist. wir halten trotzdem noch mal. im bankbüro brennt noch licht. ich versuche, durch die gittertür und die vorhänge hineinzuspähen. da tritt ein polizist auf mich zu und lächelt. "jacket? passport?" dann ruft er ins büro rein, der bankscherge schlurft an die tür - hat offenbar drinnen ferngesehen - und reicht die jacke durchs gitter. mir fallen sinai-granitbrocken vom herzen. einmal mehr bin ich von der freundlichkeit der araber beeindruckt, in dreieinhalb wochen nahost keine komische situation, keine aggressiven töne, kein beschiss.

eine viertelstunde später sitzen wir im nachtbus nach kairo. ein schöner knochenbrecher von bus ist das. die sitzreihen sind eng wie in asien, die klimaanlage bläst eisböen heraus, die leselichter gehen nicht und nach einer viertelstunde wird das erste video angemacht. irgendwie sinke ich in einen unruhigen schlaf, aus dem ich alle 20 minuten aufschrecke, weil die beine weh tun, der filmton aufdreht, leute hin und her gehen.

kurz vor fünf wollen mir die augen dann nicht wieder zu fallen. der fernseher läuft immer noch, obwohl keiner mehr hinschaut. leicht gerädert werfe ich einen blick auf den ägyptischen film. eine eigenartige komödie, in der ganze ballsäle massentänze aufführen. die hauptfiguren sind wohlgenährt, die schauspielkunst hält sich in grenzen. alle agieren so übertrieben wie in stummfilmen. die band im film spielt plotzlich einen ganz coolen, fast jazzigen bläsersatz, der sich ständig wiederholt. da habe ich meinen ohrwurm. es ist halb sechs, der abspann beginnt, der bläsersatz laueft ein letztes mal, und die morgendämmerung setzt ein. mir fallen wieder die augen zu.

einige stunden später. erwartungen trügen. kairo sei ein wahrer moloch, habe ich oft gehört. als wir in "downtown" ankommen, bin ich überrascht. der midan talaat harb, der platz, an dem wir abgestiegen sind, verbreitet mit seinen angegrauten, aber opulenten altbauten *(8, 9 stockwerke!) ein gewisses pariser flair. die sonne scheint, und wir trinken in der konditorei groppi ("depuis 1891", steht auf den fenstern) espresso. kairo sei eine dieser weltstädte, die man nur lieben oder hassen könne, schreibt der lonely planet. an diesem morgen deutet alles darauf hin, dass ich kairo klasse finden werde. -nbo


Düfte der Grossstadt
Kairo, 24.11.2004


Wir gehen durch Kairos Strassen und gucken. Auf neue Fahrgäste hoffend, hupen uns vorbeifahrende Taxis wild an. Was wir denn suchen würden, fragt uns ein sparsam bezahntes Väterchen, das auf einem Stuhl am Strassenrand sitzt. Er hatte uns deutsch reden hören, beginnt zu strahlen und legt dabei seine marode Kauleiste frei. Sämtliche Schneidezähne fehlen, der Rest durchs Kettenrauchen bernsteinfarben gebeizt.

Aufgeregt von seinem Höckerchen aufgesprungen erzählt er uns in deutsch, dass er früher mal in München gelebt habe, zwölf Jahre lang bis 1992. Aber es sei ihm zu kalt und zu teuer geworden, deshalb ist er jetzt wieder hier in seiner Heimat. Er bittet uns in seinen Souterrainladen, in dem es ausser einigen Glasflakons in Setzkastenformat nicht viel zu sehen gibt. "Mokka, Tee?", "Mokka, bitte, schwarz." Wir setzen uns auf eine ehemals wohl weisse, zerschlissene Kunstledercouch und er fängt zu erzählen an. Ja, Deutschland, in Schwabing habe er gelebt. Er redet von seinen Kindern, seiner Familie und den Blütenplantagen in der Oase.

Was wir denn gern mal riechen würden, fragt er uns unaufdringlich, ganz nebenbei. Er zählt Unmengen Blüten- und Pflanzenessenzen auf. Sandelholz und Papyrus, ja, das klingt interessant. Die unscheinbaren Glaskaraffen im verstaubten hinteren Regal, in denen ich abgestandene Alkohole verschiedenster Färbung vermutet hatte, entpuppen sich als reinster Garten der Düfte. Wir können uns nicht entscheiden, riecht beides echt irre. Aber eigentlich wollen wir doch gar nichts kaufen, wo wir doch alles bis nach Kapstadt schleppen müssen.

Aber was sind schon 50 Gramm, das Gramm nur 2 ägyptische Pfund, umgerechnet 25 Cent? OK, er hat uns überzeugt. Dann also Sandelholz- und Papyrusessenz, jeweils ein kleines Fläschchen. In Europa koste ein Gramm Essenz immerhin 45 Euro! strahlt er uns zum Abschied nochmal an. Eingewickelt in arabisches Zeitungspapier tragen wir unseren Schatz ins Hotel. So haben wir ihm wohl einen gelungenen Tagesumsatz beschert, und er uns eine dufte Reise. nach Diktat verreist -dwo


phiesta in kairo
24.11.2004

um acht holt uns alaa, der neulich anja in hamburg besucht hat, mit dem auto ab. 21 ist der gute erst, aber wirkt schon so erwachsen und liebenswürdig. als wir mit ihm über eine der nilbrücken fahren und wie alte freunde plaudern, habe ich das gefühl, teil dieser stadt zu sein. wir grooven uns bei rotwein und pasta im "l'aubergine" im stadtteil zamalek ein.

dann fährt uns alaa zu einem pub, wie er sagt. es ist der cairo jazz club, vor dem bereits eine hippe meute auf der treppe ansteht. alaa bringt uns rein - und drinnen ist bereits der bär los. der DJ spielt "copacabana", "don't you want me" (human leagü) und andere hits von vor 20 jahren. ja, er spielt "dieselben alten lieder", zu denen ich mich in st. pauli immer wieder genötigt sehe, aber selten haben sie mich so begeistert wie jetzt. der mann rockt das haus, noch ein hit und noch einer, und langsam bringt er die menge zum kochen.

wir sitzen mit alaa an der bar und erzählen uns bald mit ein paar anderen kairörn (oder sagt man kairener?) lustige klamotten. ali, ein gut aufgelegter, afrikanisch aussehender glatzkopf mit brille, kriegt sich nicht mehr ein über woldos humor. er schreit fast vor lachen und schlägt sich auf die schenkel.

alaa guckt sich unterdes verstohlen die augen nach einer frau aus, die aus einem ägyptischen relief herabgestiegen sein könnte, um sisters of mercy zu hören. sofort wird sie von uns "die ägypterin" getauft und mit blicken beschattet. alaa ist offensichtlich nicht der einzige, den die ägypterin beeindruckt. ständig springt ein anderer gestylter clubgänger um sie herum.

der DJ ist noch lange nicht am ende: "jump around", der alte hiphop-gassenhauer von house of pain, bringt das fass zum überlaufen. keiner steht mehr still, von der bar bis hinten zu den toiletten zuckt die menge, und ein paar frauen tanzen, ungelogen, auf stühlen. dann kommt run DMCs "walk this way". es ist phiesta pur, und durch die fensterscheibe scheint das bleiche neonlicht eines minaretts. der "kampf der kulturen" muss irgendwo anders stattfinden. hier drinnen erleben wir eine sternstunde der globalisierung. -nbo


die pyramiden
kairo, 25.11.2004





ja, wir haben sie gesehen. es ist eines dieser bilder, die man von klein auf im kopf hat. aber wenn man davor steht, ist doch alles anders. grossartiger. 4600 jahre haben den drei steingiganten nicht viel anhaben können. wahrscheinlich werden sie in 4000 jahren immer noch da stehen, während der moloch kairo, der sich inzwischen bis dicht an sie heranreckt, im nilschlamm versunken sein wird. lange sitzen wir auf einem wüstenhügel am rande der stadt und schauen sie an, bis die untergehende sonne sie orange färbt. sie werden einfach nicht langweilig. -nbo


der unterschied zwischen hannover und kairo
25.11.2004

wir treffen ali und zwei seiner kumpel noch einmal noch einmal im cairo jazz club. alaa ist leider nicht dabei, weil er für eine uniprüfung am montag büffeln muss. während im hintergrund eine rai-band spielt, unterhalte ich mich mit ahmed, den ali und die anderen "mr opel" nennen, weil er so deutsch aussehe. er könnte in rüsselsheim tatsächlich für einen hessen durchgehen. ahmed arbeitet seit jahren als software-berater. seine musikalische offenbarung sei die erste metallica-platte gewesen. seitdem gebe es für ihn nichts grösseres als metal.

dann erzählt er, was für ihn der grösste unterschied zwischen dem leben in deutschland und dem in ägypten sei. er habe einmal einige tage für eine firma in hannover verbracht, um dort ein projekt zu besprechen. seine deutschen geschäftspartner seien zwar beeindruckend effizient und organisiert gewesen. aber nach getaner arbeit hätten sie ihn am ende eines tages sich selbst im hotel überlassen und seien einfach nach hause gefahren. undenkbar in ägypten, sagt ahmed. hier würde man sich 24 stunden um seine geschäftspartner kümmern, ihnen die stadt zeigen, sie zum essen mitnehmen. "bei uns gibt es diese unterteilung in werktag und wochenende nicht", meint er in sehr gutem englisch. "wir treffen unsere freunde jeden tag." keiner käme auf die idee, sich in seinen eigenen vier wänden einzugraben.

vom arbeitsleben in kairo ist er allerdings nicht ganz so begeistert. ägypter würden selten investieren, dächten zu kurzfristig. wozu ein teures IT-system anschaffen, wenn irgendeiner die buchhaltung billig per handarbeit erledigen kann (so ein scherge sitzt auch den ganzen abend im cairo jazz club neben dem tresen und schreibt alle rechnungen per hand). und es komme auch oft genug vor, dass gehälter mit fadenscheinigen begründungen gekürzt oder gar nicht gezahlt würden.

ihm ist das in seinem vorletzten job passiert. in einer firma, deren inhaber ein reicher und auch politisch einflussreicher mann war. die mitarbeiter würden hier nicht so behandelt und geschätzt, wie sie es verdient hätten, selbst wenn sie ihren job sehr gut machen. ahmed erzählt das alles mit einer bemerkenswerten balance. weder ist er modernist, den alles ägyptische nervt, noch traditionalist, der den westen verflucht. es sind genau diese leute, die in unserer unsäglichen islam-debatte nicht auftauchen. nicht als beispiel aus hamburg oder duisburg, und erst recht nicht als beispiel aus dem nahen osten, wo männer gewöhnlich nur schreiend und ballernd im fernsehen gezeigt werden. –nbo


freitag in kairo, oder: was das leben hier so kosten kann
26.11.2004





wochenende in kairo. alles läuft etwas gemächlicher ab, obwohl in der innenstadt einige geschäfte geöffnet haben. in alt-kairo südlich von downtown sitzen die männer im cafe und spielen backgammon und domino. klack, klack, klack, werden die dominosteine schnell aufs spielbrett geschnallt und nach einer minute ist ein spiel rum. daneben steht ein tee, ein glas wasser. ein mann schaut kurz vom backgammon auf und winkt uns überschwenglich heran.

nach dreieinhalb wochen im nahen osten sind unsere berührungsängste gegenüber frauenlosen kaffeehäusern geschwunden. wir setzen uns an ein tischchen und keiner stört sich daran, dass woldo dabei ist. zwei arabische kaffee ohne zucker, bitte. dann die übliche frage, wo wir herkomme. "germany good", lautet die schon oft gehörte  antwort. immer schwingt die wertschätzung mit, dass sich deutschland nicht am irakkrieg beteiligt hat. ein neues erlebnis, nicht sofort mit der kriegslüsternen vergangenheit von wilhelm II bis hitler konfrontiert zu werden.

hier in alt-kairo zählt die gegenwart. die beide kaffee kosten 1,50 pfund (etwa 20  cent). vorher hatten wir in einer bäckerei einen ganzen kuchenteller für zwei pfund gekauft. es ist erstaunlich, wie in kairo verschiedene welten nebeneinander existieren. in zamalek oder agouza kann ein espresso so viel kosten wie in st. pauli. ein abendessen wie im vorgestern im l'aubergine mit alaa macht 220 pfund (27,50 euro). für viele leute undenkbar. 400, 500 pfund monatsverdienst seien in ägypten nicht ungewöhnlich, hat  uns alaa erzählt. ahmed, der software-berater, gehört mit 3000 pfund (375 euro) zu  den gutverdienenden.

ein "ägyptischer" tag sieht so aus (1 pfund = 12,5 cent): morgens am strassenstand fuul, einen bohnenpaste mit brot, für 1 pfund zum frühstück, dazu ein tee für höchstens 50 piaster. mittags ein schawarma auf die hand, die arabische variante des döners, nur viel leckerer (weil unter anderem mit zimt gewürzt). dazu ein frischgepresster orangensaft für 1 pfund. und abends kann man sich bei abu tarek mit diesem sensationellen koschari satt essen. eine kleine portion kostet 3, eine grosse 5 pfund. dazu über den tag verteilt zwei flaschen wasser (2 pfund) und einige gläser tee (vielleicht 3 bis vier pfund). mit 15 pfund ist man sitt, satt und glücklich durch den tag gekommen.

und selbst das können sich viele leute selten leisten. nach oben sind der konsumfreude natürlich keine grenzen gesetzt. wer will, kann auch in kairo einen lebensstil pflegen, der so teuer ist wie in hamburg-winterhude. -nbo


Haste Töne
Kairo, 26.11.2004

Wir haben schone 'ne Menge ägyptische Spezialitäten probiert, gebackene Tauben, Foul - gekochte Saubohnen -, Beduinen-Calamari. Aber eins kannten wir bis jetzt noch nicht: Koschari. Wo es das beste Ägyptens geben soll, verrät uns Ashrab aus dem Cairo Jazz Club und verdreht dabei schwelgerisch die Augäpfel. "But be careful," meint er, "very explosive!" Aha?

Das Abu Tarek ist ein typisches Fastfoodrestaurant, in das die ägyptische Durchschnittsfamilie Essen geht. Ungewollt stylisch sieht es hier aus, weil nahezu alles aus Stahl ist, das Geschirr, das Mobiliar, praktisch eben. Hier bestellen wir, ohne zu wissen, was uns erwartet, das in den höchsten Tönen angepriesene Mahl: ein Nudel-Reis Gericht mit Zwiebeln und roten und grünen Linsen. Zum Würzen eine höllenscharfe Piri Piri Sosse und Zitronen-Knoblauchwasser.

Es schmeckt göttlich, zum Niederknien und Jauchzen, ein echter Kracher. Aber das Zeug hat es tatsächlich in sich, alle Vorwarnungen waren gerechtfertigt. Schon auf dem Weg zurück ins Hotel gehts los, das Rumoren im Orchestergraben. Die Fanfare der Trompetenkäfer tutet durch die nächtliche Stadt und ist erst am nächsten Abend in der weissen Wüste verhallt. Das reinste Hupkonzert. nach Diktat verreist -dwo


oase mit eurozeichen in den augen
farafra, 27.11.2004

farafra ist die zweite oase im oasenbogen, der sich westlich des nils von kairo nach luxor zieht. es ist die kleinste von allen, in der der tourismus gerade erst beginnt. doch genau das entpuppt sich als ihr problem. es gibt nur zwei hotels. weil das badawiya voll ist, landen wir im el waha. die reinste bruchbude. aus dem weitgehend unverständlichen gemurmel des tranigen inhabers schliesse ich, dass gerade renoviert wird. jedenfalls ist das haus eine einzige baustelle, obwohl es schon seit drei jahren existiert. als wir unser interesse an einer wüstentour bekunden, ruft der inhaber seinen bruder, der sei der guide, sagt er.

hamdy ist ein witziger typ, der als krankenpfleger im hospital arbeitet. er hat das mustergesicht eines beduinen, mit diesen gemalten augenbrauen und dem sorgfältig geschnittenen schnurr- und kinnbart. wir plaudern ein wenig, worauf er uns zum essen einlädt. im schattigen innenhof des hauses seiner schwester gibt es ägyptische brotfladen, gekochtes gemüse und kräuter zum würzen (eins erinnert an rucola). alles kommt aus dem oasengarten der familie, in dem auch melonen, basilikum und frühlingszwiebeln wachsen. als hamdy beten will, breitet ihm seine schwester den gebetsteppich aus. als er fertig ist, schiebt sie ihm die schlappen hin. er rührt keinen finger, gibt leise irgendwelche anweisungen.

dennoch träumt er davon, eines tages eine europäerin zu heiraten. für diesen fall hat er bereits begonnen, ein neues haus zu bauen. ausser mauern steht noch nichts, aber er ist schon weiter als seine brüder, die es bisher nur zum fundament gebracht haben. so weit, so schön.

als wir wieder mit ihm und dem bruder im "hotelbüro" sitzen, um die tour zu besprechen, erleben wir unser blaues wunder. die beiden winden sich ein paar minuten, bevor sie mit dem preis rausrücken. ja, es käme darauf an, welche teile der wüste wir sehen wollten, das benzin sei teuer, die strecke äusserst schwierig zu fahren. mir schwant böses. wieviel also, frage ich noch einmal. 75 euro pro nase. mich haut's aus dem sessel. 150 euro für einen übernacht-trip in die wüste? der tranige bruder-inhaber geht auf 105 runter. völlig absurd, da der übliche preis irgendwo bei 50 bis 60 euro für einen jeep und bis zu sechs leuten liegt (lob sei dem lonely planet).

wir verabschieden uns mit der begründung, das ganze bei einem tee überdenken zu wollen. als wir schon draussen sind, kommt hamdy hinterher. was unser maximum sei. 60, 70 euro sage ich, worauf er uns ins büro zurückschiebt. wieder quatschen die brüder mit ernsten gesichtern. 75 euro, na gut. aber jetzt traue ich den beiden nicht mehr. sie wollen um jeden preis verhindern, dass wir ein alternativangebot einholen.

zu spät, wir erheben uns, und lassen die beiden genervt in ihrem office zurück. draussen ist das kaff wie ausgestorben, es ist dunkel. in geradezu detektivischer manier zwischen teehaus und badawiya-hotel bekommen wir in den nächsten zwei stunden heraus, dass a) die beiden brüder nicht die einzigen sind, die mal kurz ein ganzes monatsgehalt abzocken wollen, und b) es eine "richtige" tour gibt - im badawiya-hotel. die ist zwar auch nicht geschenkt, aber der liebenswürdige manager überzeugt uns am ende mit vernünftigen details und offenheit.

perplex gehen wir in unser "hotel" zurück, wo wir einem sichtlich geknickten hamdy darlegen, warum auf seine art von gefeilsche keinen bock haben. plötzlich will er alles viel billiger und ohne seinen inhaber-bruder organisieren. but no way.

ja, farafra ist gerade auf dem sprung. das alte staubige oasendorf mit seinen lehmhäusern am palmengarten lebt noch in einer anderen zeit. die neue breite hauptstrasse davor mit den beiden hotels, zwei schulen, dem krankenhaus und etlichen baustellen zeugt hingegen von frischem geld, das nach farafra kommt (nicht nur von touristen, sondern vor allem von der regierung, die die oasen modernisieren will). mit der oasenromantik, die der naive europäer seit "tausend und eine nacht" im kopf hat, hat beides nichts zu tun. das hier ist das neue ägypten, aber in einer eigenartigen variante. zum ersten mal seit aleppo gehen uns einheimische auf den sack. bloss weg hier. -nbo


dali-land
farafra, 28./29.11.2004









es gibt sandwüsten, es gibt geröllwüsten, und es gibt die weisse wüste bei farafra. wenn man stunde um stunde durch diesen natürlichen skulpturengarten aus kalkstein und rotem sand fährt, meint man, salvador dali könnte hier in einer unbemerkten stunde seines lebens die inspiration für seine berühmten bilder gefunden haben. groteske gesichter, schakalköpfe und habichtschnäbel balancieren auf dünnen steinsäulen. zu wellenkämmen geformter kalk schlägt wie eine erstarrte brandung gegen ausgewaschene felsen. steinplateaus gleissen wie sonnenbeschienenes wasser in der ferne. farag, unser freundlicher fahrer, spricht nicht viel englisch, und das ist diesmal gut so.

schweigend geniessen wir diesen surrealistischen traum. als es schon dunkel ist, geht ein orange mond zwischen zwei felsschemen auf und taucht dali-land in fahles licht. ein wüstenfuchs schleicht sich ans lager heran. im schein des lagerfeuers sehen wir seine riesigen ohren. ein kurzer forschender blick, dann tappt er lautlos wieder in die nacht. als farag frierend in der kälte des ägyptischen winters eingeschlafen ist, sitzen wir noch lange da und starren in den nächtlichen wüstengarten. das einzige geräusch ist das knacken unserer abgegessenen hühnerknochen, an denen sich der fuchs gütlich tut. kein windhauch, keine fliege, kein motorengeräusch in der ferne. alles ist leer und friedlich. -nbo


Der Alchemist von Dakhla
29./30.11.2004




Wer glaubt, eine Oase sei ein märchenhafter Ort in der Wüste, mit buckligen Lehmhäuschchen, einem Palmenhain und einem Brunnen, der hat sich geschnitten. Die Oasen auf unserer Tour durch die weisse Wüste sind aufstrebende Kleinstädte, wo an die touristische Zukunft gedacht wird. Überall angefangene Baustellen, an denen erst weiter gearbeitet wird, wenn wieder genügend Geld da ist. Und genau das versuchen sie, den Touristen aus der Tasche zu ziehen. Wohl wissend, dass man in dieser Ödnis auf sie angewiesen ist, verlangen sie für alles, sei es Wasser, Tee oder Transport das 2-3 fache des eigentlichen Preises.

Nach einem sensationellen Trip durch die weisse Wüste sind wir tags drauf erleichtert, dass wir eine lustige Vierertruppe finden, der wir uns für die Weiterfahrt nach Dakhla anschliessen können. Ein derzeit arbeitsloser Independentfilmer und Modellflieger aus Schweden mit drei malaysischen Frauen, die sich während der Fahrt rührend um uns kümmern. Die in ihrer Art und Erscheinung eher vehemente der drei Mädels ist die Freundin des Schweden und eine wahre Frohnatur. Die zweite, Typ Asiagazelle ist gleichen Gemüts und die dritte im Bunde, aus der selben Baureihe, aber von der Natur etwas benachteiligt durch das beleidigte-Leberwurst-Gesicht.

In Dakhla angekommen, stossen wir im Restaurant seines Bruders auf den 38-jährigen Beduinen Nasser und seine deutsche Frau Birgit. Sie haben im Ort ein Hotel und organisieren Touren in die Wüste. Nasser war bereits etliche Male in Deutschland, spricht deutsch und kann ohne seine Wüste nicht leben, wie er sagt. Nach den Versuchungen des Westens hat er hier seinen Platz im Leben gefunden und nun kommt die Welt eben zu ihm. Im Gespräch überzeugt er uns nach und nach von seinem faszinierenden Wissensschatz der Naturheilkunde, drückt mir zwischen Daumen und Zeigenfinger und diagnostiziert einen sensiblen Magen. Soso.

Angefixt von seinen Appetithäppchen und seiner sympathischen Art liege ich am nächsten Morgen in seiner "Hotelpraxis", werde eine Stunde lang massiert und mit Ölen und heissen Schröpfkissen behandelt. Anschliessend rieche ich wie eine Mischung aus Eukalyptusbonbon und Frühlingsrolle, soll mich zwei Tage lang nicht waschen und fühle mich wie frisch geschlüpft. Ölig und mit zwei handtellergrossen Knutschflecken auf dem Rücken steige ich in meine Klamotten und bin während der ganzen Fahrt nach Luxor ein kleines, weiches, schläfriges Knäül. Habibi, Inshallah. nach Diktat verreist -dwo


welcome to schergiland
luxor, 3.12.2004





nun sind wir seit drei tagen in "upper egypt", wie man hier sagt. von kairo aus gesehen ist das der etwas lahme süden. und oha, die leute hier sind wirklich der hammer. schergen vor dem herrn. warum soll einer eine arbeit machen, wenn es nicht auch drei machen können? warum besseren service, wenn man einmal das dreifache abzocken kann? das mag jetzt wirklich übellaunig klingen, aber dieser ort kommt indien bisher am nächsten. wenn dir einer mit turban in einem tempel irgendetwas zeigt, geh bloss nicht hin - dreissig sekunden später murmelt er "bakshish".

durch die innenstadt zu laufen, ist eine art davidstrassenerfahrung: die ladenbesitzer stellen sich dir ebenso bestimmt mit penetranten sprüchen in den weg wie die nutten in st. pauli. hier sind einfach so viele touristen, dass alle mit minimalem aufwand auf den grossen reibach hoffen. darin unterscheidet sich luxor von der  touristenhochburg dahab, wo die leute wirklich pfiffig sind. hier sind sie irgendwie tranig und nervig. ein kutschenfahrer wollte uns gar am liebsten eine runterhauen, weil wir nicht nach der halben strecken aussteigen wollten, denn wir hatten ihn ärgerlicherweise auf den halben preis runtergehandelt.

vielleicht gibt es zu viele pauschaltouristen, die ständig absurde trinkgelder und was weiss ich bezahlen. woldo und ich haben uns jedenfalls bei diesem verzweifelt lachenden zynismus erwischt, der dich nach dem 30. "want a XY? good price" überfällt.

luxor hat aber gottseidank noch mehr als seine schergen zu bieten: den nil und die tempel. auf dem balkon sitzen, den booten auf dem fluss nachschauen, ein stella (das hiesige bier) trinken... sehr angenehm. und dann die geschichte: vor jahrtausenden hiess luxor theben und war das zentrum des altägyptischen universums. die tempel hier sind schwer beeindruckend, obwohl es schon eine geballte ladung steine angucken ist (drei grosse tempelkomplexe).

aber wenn man etwa durch den luxor-tempel geht, zwischen 20 meter hohen granitsäulen, die stilisierte lotusblüten darstellen, und wuchtigen steintoren, dann kommt einem die akropolis in athen oder das alte rom plötzlich nicht mehr so spektakulär vor. dass diese ruinen ebenso wie die pyramiden wissenschaftliche verschwörungstheorien zum blühen bringen, wundert mich gar nicht. ständig kann man in statün und auf reliefs prähistorische astronauten erkennen, wenn man nur will. ein abgefahrener ort, trotz aller schergen. -nbo


ein paar gedanken am nil (das leid mit der "leitkultur")
assuan, 5.12.2004





die zugfahrt von luxor nach assuan ist eine wohltat: platz für die beine, tee vom schaffner, ein blick auf den nil, zeitung lesen. ach, könnte es doch so bis kapstadt weitergehen. assuan selbst ist genauso entspannt. bei einem tee oder obstsaft auf einem bootrestaurant erholen wir uns vom steinegucken. hier gibt es nichts zu sehen. die sonne scheint, die autos hupen, die nubier scherzen.

im economist lese ich über den neuen streit um eine "leitkultur" in deutschland. weit weg und doch ärgerlich. schröder und union, die sich gegenseitig mangelnden patriotismus vorwerfen. oja, die deutschen müssen wieder eine normale nation werden. was für ein scheiss. was für ein krebsgeschwür die  nationalstaatsidee ist, kann man doch wunderbar am nahen osten beobachten. dieser absurde stolz, ein ägypter zu sein; "welch ein glück, türke zu sein" (das prangt über türkischen kasernentoren, lese ich bei orhan pamuk). ein argwohn gegenüber den nachbarn. selbstüberschätzung. brauchen wir das noch mal?

stoiber kann auf die frage, was für ihn die werte der deutschen "leitkultur" seien, nur familie und ein paar allgemeinplätze benennen, die vermutlich in jedem land der erde gültigkeit haben. interessanter wäre doch, welche deutschen im 20. jahrhundert überhaupt eine quelle der inspiration darstellen können. für meinen teil sind das, unter anderem, in wilder aneinanderreihung:
max ernst (erhielt 1919 oder so eine vorladung von der kölner polizei wegen "betrug", da die von ihm ausgestellten kunstobjekte doch keine kunst gewesen seien);
johannes litten ("der anwalt, der hitler in die enge trieb"); georg elser sowieso (aufmüpfiger einzelgänger);
wolfgang neuss(der antispiesser);
rudi dutschke & fritz teufel (68er-ikonen); willy brandt (für seinen kniefall in warschau);
peter hein (von fehlfarben, wegen seiner verdienste um die deutsche popmusik, um es mal ganz feierlich zu sagen)...

von denen lasse ich mich gerne leiten. was würden wohl angela und edmund dazu sagen? und was meint ihr dazu? lasst mal hören. -nbo


Servicewüste Ägypten
Assuan, 5.12.2004

So, nun reichts. Raus hier. Mann, bin ich froh, diese Nachtkappen ab morgen nicht mehr sehen zu müssen. Entweder kommen sie hyperaktiv hinter dir hergeschossen, um dir irgendeinen Souvenierkram anzudrehen, oder stehen sich als Festangestellte in irgend einer Ecke zusammengerottet die Füsse in den Bauch. Sie funktionieren wie Pawlowsche Hunde, bei einem vollständigen englischen Satz reagieren sie nicht, man muss ihnen mit Codewörtern das Gewünschte abringen. Auf "may we get two glasses, please?" wurden wir nur milde angelächelt. "GLASS, two!" unterstützt durch Fingerzeichen, ja, so gehts und zwar nur so.

Und mit welch beneidenswerter Gelassenheit der Hotelscherge versucht hat, die Bierflaschen aufzustreicheln. Auf die Bitte um zwei Bettlaken bekamen wir eine dreiviertel Stunde später ein Handtuch, die Toilette blieb trotz Reinigungswunsch ein Jason Pollock, oder doch vielleicht Beuss? Unsere Wasche bekamen wir nass und zerknüddelt aus dem Wäscheservice. Man braucht erst gar nicht versuchen, ihnen zu erklären, wie Service funktioniert, sie würden es nicht verstehen, man dringt nicht zu ihnen durch, nur mildes Lächeln. Hauptsache, man zückt sein Portemonnaie. Einer wollte doch tatsächlich zwei Pfund von uns haben, als wir ein altes Hufeisen auf der Strasse gefunden und einsteckt haben, unglaublich.  nach Dikat verreist -dwo


auf in den sudan!
assuan, 5.12.2004

OK, leute, der lonely planet ist zünde, die zeit in ägypten auch. morgen bewegen wir uns auf den weissen fleck auf der landkarte zu, mit dem alle zur zeit nur mord und totschlag verbinden: den sudan. um sechs uhr abends geht die fähre über den nasser-stausee den nil flussaufwärts bis zur sudanesischen grenze. es gibt keine bilder von bekannten sehenswürdigkeiten mehr, keinen reiseführer, aber einige ermutigende berichte in travellerforen im netz, dass der sudan trotz seines schlechten rufs ein schönes land sein soll. bis bald, nbo & dwo --- PS: die tips zu syrien, beirut und jordanien haben wir endlich eingetragen. die zu ägypten folgen demnächst.


die traurige arche
wadi halfa, 6./7.12.2004





als wir gegen elf am fähranleger beim "high dam" von aswan ankommen, glauben wir zunächst an einen schlechten witz. dieser seelenverkäufer soll die fähre sein? als der mann von der river nile transport company in aswan uns sagte, es würden 600 passagiere mitfahren, waren wir erleichtert. das ist ja nichts im vergleich zur 2000-mann-fähre von aqaba nach nuweiba, dachten wir.

aber dieses boot ist kaum grösser als eine der grossen HVV-fähren im hamburger hafen (und tatsächlich auch in hamburg gebaut, wie wir später entdecken). wir gehen an bord und breiten unsere decke unter einem der beiden rettungsboote aus. dann schauen wir sieben stunden dem spektakel des beladens zu. LKW um LKW rollen auf den kai, turmhoch beladen mit matratzen, kühlschränken, farbeimern, colapaletten, zwiebelsäcken... wütend sich anbrüllende hafenarbeiter schleppen die fracht an bord, die 600 reisenden kommen dazu, bis jeder quadratzentimeter stellfläche von menschen und gütern bedeckt ist. sogar die rettungsboote werden beladen.

das tüpfelchen auf dem i ist der jeep eines älteren holländischen paares, der zuletzt auf den schleppkahn muss. auf diesem werden weitere tonnen fracht hinter der fähre herfahren. inmitten der kisten und ballen haben die hafenarbeiter einen kleinen korridor freigelassen, in den der arme holländer seitlich seinen wagen fahren soll. dumm nur, dass unter der last der kahn einen meter unter die kaimauer gesunken ist. anstatt planken zu legen, wird der schleppkahn kurzerhand ein paar meter nach links manövriert, bis die kaimauer nur noch 40 zentimeter über dem kahnboden liegt. die menge hält den atem an. wird der jeep im wasser landen? nein, irgendwie setzen die vorderräder doch auf dem kahn auf und zwei minuten später ist der ganze jeep an bord. man möchte fast applaudieren.

als wir endlich ablegen, ist es schon dunkel. dann tuckern wir die nächsten 20 stunden über den nasser-stausee. als ich später unser bordessen, das jedem passagier zusteht, abhole, schlägt mir unter deck eine wüste geruchsmischung aus erbrochenem und gekochten saubohnen entgegen. über beine, kisten und andere körperteile trage ich die tabletts aufs deck. immerhin schmeckt es, aber was heisst das schon? in so einer situation schmeckt fast alles, was satt macht.

die nacht ist lang, aber der schlaf kurz. immer wieder wachen wir auf, weil unsere knochen auf dem harten stahlboden ächzen. dann geht endlich die sonne auf. am seeufer ist nicht, kein haus, kein baum. tempel und dörfer sind in den 60er jahren in den gestauten nilfluten versunken. es ist, als ob wir auf einer traurigen arche am zweiten schöpfungstag durch universum schippern: nur wasser, wüste und gleissendes licht.

um drei uhr nachmittags legen wir schliesslich an. dass die fahrt trotzdem erträglicher ist als die aqaba-fähre vor drei wochen, verdanken wir zwei bonnern, hans und klaus, die mit ihren motorrädern nach kapstadt fahren. geteiltes leid ist eben halbes leid, und so mancher witz macht die endlosen stunden annehmbar. hoffentlich sehen wir sie in äthiopien noch mal wieder. überhaupt sind auf der fähre nur traveller, die es mit jeep und truck nach kapstadt zieht. zuhause war unsere route für viele eine verrückte idee, hier unterwegs ist sie nur noch der kap-kairo-pfad, auf dem nicht wenige unterwegs sind. das verbindet ungemein, man ist mit seinem spleen nicht allein. -nbo


chronik

etappen
hamburg – istanbul
istanbul – dahab
dahab – wadi halfa
wadi halfa – addis
addis – nairobi
nairobi – nungwi
nungwi – kyela
kyela – tofo
tofo – kapstadt

gedanken
was ist reisen?
verschiedenes

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schnipsel

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