durch äthiopien

paradies im grenzmüll
metema, 11.12.2004
jenseits von entenhausen
gondar, 13.12.2004
halbe strecke
gondar, 14.12.2004
abgestempelt
bahar dar, 15.12.2004
frühstück in fünf akten und andere merkwürdigkeiten
bahar dar, 15./16.12.2004
macchiato an der piazza
addis abeba, 18.12.2004
what time is it?
addis, 18.12.2004
die welt des schönen scheins
addis, 18.12.2004
tor für äthiopien
addis, 19.12.2004
in der recycling-stadt
addis, 20.12.2004
nachrichten aus äthiopienaddis, 20.12.2004
der garten afrikas
addis, 20.12.2004
brot für die welt
arba minch, 21.12.2004
gech
arba minch, 22.12.2004
das gut versteckte paradies
arba minch, 23.12.2004
die alltägliche plünderung
arba minch, 24.12.2004
stille nacht, heilige nacht
arba minch, 24.12.2004
small is beautiful
arba minch, 25.12.2004
entschleunigung bis zum stillstand
konso, 26.12.2004
in anti-äthiopien
konso, 26.12.2004
durchs rift valley
27.12.2004
ein schulaufsatz
28.12.2004



paradies im grenzmüll
metema, 11.12.2004

als es schon dunkel ist, passieren wir endlich die brücke zwischen gallabat/sudan und metema/äthiopien. mateus, ein junger typ, der sein auskommen als grenzgänger findet, hat uns durch die amtsstuben gelotst. jetzt staunen wir über die hauptstrasse von metema, einem dorf, in dem nächtliches leben brodelt. in einer hüttenbar fallen wir verschwitzt und staubbedeckt wie grubenarbeiter auf einen stuhl und zischen das erste bier seit ägypten. im hintergrund läuft groovige mucke, die frauen tragen keine kopftücher mehr, und alle sind entspannt. ein travellerparadies!

dass es schäbig ist, stört uns nicht, im schein der lichter wird hier alles in eine hippie-atmosphäre getaucht. und wir sind zu kaputt, um noch ansprüche zu stellen. unser zimmer ist ein verschlag, die toilette im hof ein loch im boden, an dessen grund im schein der taschenlampe es krabbelt und wabert. auch das ist reisen.

mateus findet für uns hinter der zehnten hütte abseits der hauptstrasse noch ein geöffnetes restaurant, in dem wir injera, das graue, poröse, pfannkuchenartige brot äthiopiens, mit fleisch essen.

zum schluss ein bier in einer der unzähligen hüttenbars. und überall nur junge leute. keiner ist älter als 25 (äthiopien ist das zweitbevölkerungsreichste land afrikas, mit 72 millionen einwohnern). ob metema bei tageslicht traurig aussieht, werden wir nie erfahren: unser bus nach gondar fährt am nächsten morgen freundlicherweise um halb sechs. -nbo


jenseits von entenhausen
gondar, 13.12.2004





gondar ist verwirrend und unwirklich. in 2200 metern höhe gelegen, mit jahrhunderte alten burgartigen schlössern, die fast schottisch anmuten, eingerahmt von hügeln mit waldstücken und weiden, die einen eher an eine voralpenlandschaft erinnern. schilder sind mit seltsamen runen beschriftet (amharisch). im zentrum befindet sich die "piazza", die die italiener samt grossem cafe aus ihrer sechsjährigen kolonialzeit hinterlassen haben. die äthiopier sind zwar schwarz, aber ihre gesichter haben oft wenig ähnlichkeit mit den afrikanern, die man normalerweise im kopf hat. eher sehen sie europäisch aus, nur eben dunkel.

gondar wirkt wie eines dieser unter dichten wolken verborgenen märchenländer, auf das die duckfamilie nach tausenden von kilometern auf schatzsuche jenseits von entenhausen in gestürzt ist. im ethiopia cafe an der piazza trinken wir erst mal einen kaffee. schön stark, die äthiopische variante des espresso, mit viel crema. sobald wir aber einen fuss vor die tür des cafes oder hotels setzen, sind wir von einer horde kinder und jugendlicher umringt, die uns wie ein schwarm folgt. die kleineren fragen "mister, buy me book?", die älteren "you go to simien mountains?". daran muss man sich gewöhnen, die kerle verschwinden nicht.

die erwachsenen sind auf den ersten blick um so reservierter. sitzt man aber erst mal mit ihnen in einer der zahlreichen kneipen zusammen, tauen sie sofort auf. in einer mischung aus kramladen und bar trinken wir äthiopischen ouzo (nicht schlecht!) und lästern über den sudan. da lachen die äthiopier schallend. währenddessen wird über die tresen-theke wasser und klopapier verkauft. in der ecke wippt ein mann im rhythmus der musik. die besitzerin des ladens winkt uns am nächsten morgen gleich freudestrahlend zu - wahrscheinlich auch, weil woldo meinte, äthiopische frauen würden so gut aussehen. das hat ihr sichtlich geschmeichelt.

die äthiopischen männer sind fussballverrückt. als wir nachmittags in unserem zimmer sind, hören wir plötzlich ein tierisches geschrei von oben. ich renne rauf in die rooftop bar, ein tor ist gefallen. die bar platzt aus allen nähten, so viele wollen das spiel sehen. ich denke, das tor muss für äthiopien gefallen sein. ein blick auf den bildschirm belehrt mich eines besseren: es ist ein premier-leagü spiel zwischen arsenal und birmingham. englischer fussball ist das einzige, was hier zählt.

mit den äthiopien-klischees, die sich seit dem band-aid-konzert 1984 in allen köpfen festgesetzt haben, hat das alles hier nichts zu tun. weder hungernde blähbäuche noch fliegenübersäte kinderköpfe. bettler gibt es allerdings genügend, die auch den einheimischen ihr sprüchlein runterbeten. auffällig ist auch, dass hier unglaublich viele leute in den strassen unterwegs sind, ohne erkennbar etwas zu tun zu haben. das ist das einzige indiz dafür, dass es äthiopien wohl nicht so gut geht, wie einen das entspannte treiben glauben lässt (äthiopien ist im human development report der UNO auf platz 170 von 177). -nbo


halbe strecke
gondar, 14.12.2004

die erste etappe ist geschafft. bis gondar regierte der zeitplan, aufgedrückt vom stempel des äthiopischen visums. macht nichts. so haben wir mehr zeit in ostafrika mit seinen phantastischen landschaften. städte und historische orte haben wir auch genug gesehen. jetzt sitzen wir in unserem runden hotelturm in gondar und legen eine art wochenende ein. lesen, essen, kaffee trinken, vom balkon in die landschaft schauen. planen. luft holen.

an zuhause denken: an das gemütliche, saubere bett in unserer wohnung. an st. pauli und phiesta sowieso. an ein kölsch in der bar centrale, einen wein "auf der ecke" bei mr. kebap (in unserer erinnerung ist in hamburg immer noch spätsommer/frühherbst), an das schwarzbrot in der bäckerei in der paul-roosen-strasse, einen joghurt im glas, spaghetti mit pesto, ein fischbrötchen an den landungsbrücken, die elbe, einen galao beim portugiesen, einen schwarzen bei karlo, einen von knuts cocktails, an den tü-bop...

zwei monate ist das alles her. 9.800 kilometer haben wir vom dammtor zurückgelegt. noch mal soviel liegen vor uns, wie uns gestern zwei südafrikaner gesagt haben, die von kapstadt hochgekommen sind. morgen geht's weiter. -nbo


Abgestempelt
Bahar Dar, 15.12.2004

Hier in Äthiopien gehen die Uhren anders, und zwar jede. Keine zeigt die selbe Uhrzeit an, jede hat ihre eigene Zeit. Die Taktgeber der westlichen Welt sind hier offensichtlich reine Dekorationsartikel oder wir haben das System nur noch nicht verstanden. Nachdem wir gestern in Bahar Dar, einem kleinen Ort am Lake Tana angekommen sind, fällt es uns schwer, gute Laune zu behalten.

Hier herrschen bad vibrations. Nur einfach ein Gast in diesem Land zu sein, funktioniert hier in Äthiopien nicht. Man ist Tourist, ein weisser Leuchtturm und muss dafür bluten. Fast scheint es, als würde man dafür bestraft, dass man Interesse an diesem Flecken Erde hat. Der Weisse ist reich und sie sind arm und deswegen müssen wir blechen, aber richtig.

An jeder Ecke wird man aufs Übelste abgezockt. Als müsse man eine Ablasszahlung für vorrangegangene Ungerechtigkeit leisten. Und dabei ist gerade Äthiopien das Land, dass niemals eine europäische Kolonie gewesen ist, bis auf die kurze siebenjährige Besetzung durch Italien. Also können sie sich auch nicht auf Wiedergutmachung berufen, sie haben sich hier alles selber eingebrockt, ihr Missmanagement und ineffiziente Landwirtschaftstechnik hat es in diesen maroden Zustand hineinkatapultiert. Der 17 Jahre währende Kommunismus bis 1991 hat ihm dann noch den Rest gegeben. Durch die westlichen Hilfsorganisationen kam dann das weisse Geld hierher, und seitdem sind wir abgestempelt als goldene Kühe.

Vor allem im Tourismus wird man übers Ohr gehauen, dass einem Hören und Sehen vergeht und vor allem die Fröhlichkeit. An allen öffentlichen Stellen scheint Abzocke befohlen. Bei Eintritten und Transport zahlen wir dass 2-3 fache der einheimischen preise. Damit hätte ich grundsätzlich kein Problem, wenn sie zudem nicht auch noch ganz offensichtlich versuchen würden, die Kosten einer kompletten Minibusladung auf uns abzuwälzen.

Hinter ihrem Rücken tun wir uns mit anderen Touristen zusammen, um auf eigene Faust die Fahrt nach Addis Abeba zu organisieren, nur um nicht erneut übers Ohr gehauen zu werden. Am nächsten Morgen kommt der Minibus natürlich nicht, weil sie hier alle unter einer Decke stecken, Saubande. Es ist traurig und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Und dass, obwohl ich gerade auf dieses Land so gespannt war. Der einzige Ort, wo ich bis jetzt nicht dieses ungute Gefühl hatte, waren die Kneipen und Cafes, in denen wir für ein komplettes Frühstück mit Saft und Kaffe umgerechnet 1,80 Euro bezahlt haben.

Nicht dass es mir um den Betrag des Geldes geht, natürlich sind wir reich gemessen am Durchschnittslohn hier. Es geht mir vielmehr um das Gefühl der Gleichbehandlung und des Willkommenseins. Denn genaugenommen praktizieren sie hier jetzt nichts anderes, als die ihnen nur zu gut bekannte Ungleichbehandlung, nur eben umgekehrt, schwarz gegen weiss. Die Atmospäre zwischen "Gästen" und Einheimischen erinnert mich hier schwer an Kuba. Wir müssen zahlen und uns obendrein noch schlecht fühlen, des Gewissens wegen. Weder möchte ich wegen meiner Hautfarbe bevorzugt, noch benachteiligt werden. Ich möchte einfach nur das Land kennenlernen. Mann, wie ticken die hier eigentlich. Zum ersten mal beschleicht mich so ein Gefühl wie Heimweh. nach Diktat verreist -dwo


frühstück in fünf akten und andere merkwürdigkeiten
bahar dar, 15./16.12.2004

kann ich bitte noch einmal die araber zurückhaben? die letzten 24 stunden in bahar dar sind das frustrierendste, was wir bisher erlebt habe. schlimmer noch, wir sind total angefressen und regen uns auf. genau das aber macht dich als reisenden angreifbar. wenn einem das lachen vergeht, kommt's erst recht dicke.

fangen wir mit dem komischen an: unserem frühstück im hotel "dubambessa", für hiesige verhältnisse teure mittelklasse (dafür ist das bad sauber, es liegt am tana-see, die zimmer sind schön). wir sitzen auf der terrasse mit seeblick und bestellen unser frühstuck. die kellnerin nickt dauernd, und uns schwant schon, das sie kein wort verstanden hat. drei minuten später kommt ihre kollegin, die ein wenig englisch kann, und nimmt die bestellung noch einmal auf. irgendwann kommt das brot. fünf minuten später die cornflakes (die ersten in afrika), aber ohne milch. drei minuten später die milch. dann ein einzelner saft. wir lachen schon. zuletzt kommt der kaffee, der in äthiopien eigentlich die einfachste sache ist. keiner in diesem schuppen spricht einen zusammenhängenden satz englisch. aber alle nicken und sagen ständig "yes", auch wenn man eine frage stellt, die man nicht mit "ja" beantworten kann.

weniger lustig ist die touristenverarschung gestern nachmittag. wir fahren zum wasserfall des blauen nils, der hier aus dem see entspringt. als wir unser ticket bezahlt haben, kommen wir nach ein paar hundert metern an die stelle, wo man über den nil übersetzen muss. ein haufen schergen umringt uns und will fürs übersetzen mehr haben als für den eintritt (20 birr, ein abendessen für zwei hier). wir sind unter anderem mit drei äthiopiern aus addis unterwegs, die ebenfalls kaum glauben können, was diese typen dafür haben wollen. als wir uns wundern, werden sie auch noch ärgerlich. wir beissen in den sauren apfel und setzen über.

dann die nächste überraschung: der wasserfall existiert nicht mehr. eine lächerliche dusche rauscht die felsklippe runter, während das wasser ins nahe wasserkraftwerk umgeleitet wird. das ist das gute recht der äthiopier, aber warum streichen sie den "wasserfall" dann nicht von ihrer liste der sehenswürdigkeiten? die drei aus addis sind tief enttäuscht.

abends wollen wir nach nairobi telefonieren, um erkundigungen bei einer safari-agentur einzuholen. auf meinem handy erscheint zwar das netz der ethiopian mobile, aber einloggen kann man sich nicht. ein typ vor dem hotel, der freund von unserem wasserfall-guide, bietet uns an, von seinem handy aus anzurufen, wenn wir eine prepaid-karte kaufen. na gut.

dann wählen wir uns eine dreiviertelstunde die finger wund, um bei jeder nummer, selbst der der deutschen botschaft in nairobi, "the number dös not exist" zu hören. das guthaben ist verloren - es ist auf das handy unseres helfer gebucht. ein schelm, böses dabei denkt. mehr als die hälfte will er uns aber nicht zurückgeben, denn es sei ja nicht seine schuld, dass die verbindung nicht zustande gekommen sei. "I want just be friendly to you". meine laune ist im keller bei solch blumigem gelaber.

heute haben wir dann versucht, einen minibusplatz nach nairobi zu ergattern, weil die strecke dann in einem tag zu bewältigen ist. öffentliche busse müssen eine zwangsübernachtungspause einlegen, weil sie nicht nach einbruch der dunkelheit fahren dürfen. lustig nur, dass in äthiopien alle busse um 5:30 h losfahren, wenn es stockdunkel ist (sonnenaufgang ist hier um 7 h) und die fahrer sicher total ausgeschlafen sind (man sieht sie noch am abend vorher um zehn putzmunter um preise feilschen).

wir fragen also morgens im hotel, und ja, verspricht man uns, der minibusplatz wir organisiert. als wir mittags nachfragen, weiss an der rezeption niemand von nichts. sicherheitshalber hauen wir noch einen zweiten typen draussen vor dem hotel an, denn jeder behauptet hier, einen platz im minibus organisieren zu können.

nachmittags kommen auf einmal zwei typen auf uns zu, der deal sei perfekt, fahrer und wagen kämen gleich. stunden vergehen. währenddessen schnellt der preis um 50 % in die höhe. das liege an angebot und nachfrage, erklären uns die äthiopier. viel nachfrage, höhere preise. das nenne ich marktwirtschaft im stundentakt. folgerichtig wird der mann, der die minibusse organisiert, auch "broker" genannt. aber es gibt nur einen broker im ort. von wegen marktwirtschaft.

als wir erneut fragen, wann denn der wagen komme - man soll hier in kein fahrzeug einsteigen, dass man nicht vorher gesehen hat -, wird einer der typen fuchtig. "do it or not", sagt er, "I'm not pushing you." da muss ich fast lachen, aber ich bin schon zu wütend. langschweifige erklärungen folgen zum x-ten mal, dann wieder druck, sich für einen der beiden minibusse zu entscheiden.

nun könnte man sagen, ja wir sind von unserer sudan-durchquerung ausgepowert. sind wir, keine frage, sonst hätten wir alles weggelacht. aber wir treffen andere, denen es in dieser stadt genau so geht. ein älterer serbe bei uns im hotel schimpft wie ein rohrspatz. ein traveller-paar aus isräl, das wir in einem cafe treffen, ist total angepisst. und das, obwohl die frau ursprünglich aus äthiopien stammt. sie findet ihr früheres heimatland fürchterlich. wir haben beide zum ersten mal seit dem dammtor richtiges heimweh. -nbo


macchiato an der piazza
addis abeba, 18.12.2004





was für eine erleichterung. wir hatten schon mit dem schlimmsten gerechnet. addis, wie man hier sagt, sei eine trostlose stadt, meinten die anderen traveller in bahar dar, noch viel schlimmer als diese stadt am tana-see. aber addis ist klasse.

eine entspannte grossstadt, die in einem talkessel liegt und anders als khartoum wirklich eine stadt ist. an der "piazza" sitzen wir in einem strassencafe und trinken espresso macchiato. ein paradies für kaffeetrinker. geschäftsleute, tagediebe, stadt-hipster sitzen hier gegenüber dem kino in der sonne und schlürfen ihren kaffee. die kellnerinnen haben abgefahrene lockenfrisuren, und gut sehen sie sowieso fast alle aus.

um die ecke von unserem "hotel baro", das eine üppig grünen innenhof hat, reihen sich bars und puffs aneinander. mensch, da fühlt man sich ein wenig wie zuhause. die stimmung steigt, das heimweh verfliegt beim dritten "makiato" und bahar dar ist nur noch eine blöde episode. jeden tag werden die karten eben neu gemischt auf dieser tour. -nbo


what time is it?
addis, 18.12.2004

heute ist der 10.4.1997 in äthiopien. ein land, das im wahrsten sinne des wortes in der vergangenheit lebt, weil hier noch der alte julianische kalender kalender gilt, der bei uns im mittelalter abgeschafft wurde. und wenn man mit irgendjemandem hier eine uhrzeit ausmacht, heisst es: "OK, at eight o'clock in your time."

ich habe das zuerst für eine floskel gehalten, "in your time". aber ein blick auf armbanduhren, etwa im bus, zeigt immer eine andere uhrzeit. nach einiger zeit stelle ich fest, dass die uhren konsequent anders gehen, und zwar sechs stunden vor (oder nach, wie man es sehen will). wenn wir uns um zwei uhr nachmittags im bus fragen, wie lange wir wohl noch brauchen, ist es auf äthiopischen handgelenken acht.
des rätsels lösung: sieben uhr morgens ist hier ein uhr am tag, sieben uhr abends ein uhr nachts. auch sonst ist die vergangenheit allgegenwärtig. im kino gegenüber unserem stammcafe läuft "the rock" mit sean connery, ein actionschinken von 1996 oder "I know what you did last summer" von 1997. die zeitungshändler vor dem kino verkaufen time-, newsweek- oder economist-ausgaben von 2001. keine ahnung, wer das noch liest. selbst in einem ordentlichen buchladen wie bookworld sind nur internationale magazine von vor vier, fünf wochen zu bekommen.

in äthiopien gehen nicht nur die uhren anders, sondern auch die frauen. sie sehen nicht nur gut aus, sie sind auch noch vorwitzig. als wir gestern eine strasse lang gingen und eine gruppe von drei schlendernden äthiopierinnen überholten, zupfte es mich plötzlich am ärmel. darauf sogar ein kniff in den arm, gefolgt von einem kichern und giggeln. nach dem nahen osten ein ganz ungewohntes, auesserst sympathisches gefühl. -nbo


Die Welt des schönen Scheins
Addis, 18.12.2004

Mitten in Addis steht eine Festung, sie gehört zum Königreich Sheraton, die Residenz der Reichen und der Businesswelt, inmitten der Strassenbuden und alltäglichen Durchschnittsarmut. Wir gehen hin, um Geld zu wechseln. Vorbei an den uniformierten Wachen, durch Sicherheitsschleusen in die wohltemperierte Halle. Professionell lächelndes Personal begrüsst uns zurückhaltend, alle ausgebildet in Europa. Aus den Lautsprechern rieselt sanft Konserven-Weihnachtsmusik, unter dem Weihnachtsbaum liegen Deko-Geschenke, alles funkelt und glitzert. In diesem gigantischen Hotelkomplex kosten die Zimmer im Schnitt 300 $ die Nacht, die Suite ist für schlappe 4.300 $ zu haben. Eine Summe, die für einen Äthiopier einem Lottogewinn gleichkäme. Aber für Einheimische ist dieser Schuppen auch nicht gedacht, hier ist man entre nous.

Im hoteleigenen Bookshop wollen wir ein Buch über die afrikanische Entwicklungspolitik mit Kreditkarte bezahlen, immerhin 198 Birr, umgerechnet ungefähr 18 Euro. "No, not for small amounts", lächelt mir die äthiopische Kassiererin entgegen. Was denn, bitteschön, not a small amount für sie sei, möchte ich von ihr wissen. "Starts at 500 Birr", ist ihre gepflegte Antwort. 500 Birr! Das durchschnitliche äthiopische Monatseinkommen ist hier der Mindestbetrag für Kreditkartenzahlung. Unfassbar!

Wer hier absteigt und behauptet, in Äthiopien gewesen zu sein, lügt sich in die eigene Tasche. Als interessante Randbemerkung sei noch erwähnt, dass die Sheraton Hotelkette dem Äthiopier Al Amoudi gehört. Und nicht nur die, auch den Pepsi Konzern nennt er sein Eigen. Ausgewandert in den 70ern residiert er nun in Saudi Arabien. Ars vivendi! nach Diktat verreist -dwo


tor für äthiopien
addis, 19.12.2004





sonntag nachmittag. die hauptstadtstrassen sind leergefegt. die äthiopische nation hängt vor dem fernseher: äthiopien spielt in der ostafrika-meisterschaft gegen sansibar. das letzte gruppenspiel vor dem einzug ins halbfinale. was da im schneegestöber des fernsehbildes in unserem hotelinnenhof zu erkennen ist, beeindruckt nicht gerade. ein einziges ballgeschiebe im mittelfeld, manchmal verspringt auf dem grasacker des stadions von addis. immerhin keine rückpässe zum torwart. aber auch kein offensivdrang. im strafraum passiert nichts. "den äthiopiern fehlt ein torjäger", sage ich zu einem älteren äthiopier, der auch guckt. "du hasst es erfasst", antwortet er lächelnd.

die mannschaften kommen aus der halbzeitpause. äthiopien dreht jetzt auf. "antenne" treibt den ball immer wieder über die linke seite, jedenfalls scheint das der name zu sein, wie ich aus dem amharischen wortstrom des reporters schliesse. die sansibarer sind noch schwächer geworden und fallen alle fünf minuten theatralisch zu boden. antenne zu "schnaffi", schnaffi passt zu "aider", da plötzlich ein getümmel im sansibarischen strafraum, der ball fliegt senkrecht nach oben, was macht der sansibarer torwart da, er kommt nicht heran, ein äthiopier legt sich quer in die luft und hämmert die kugel zwischen vier verdutzten abwehrspielern aus zehn meter ins netz. ohrenbetäubender jubel bricht los: 1:0 für äthiopien, die lautsprecher des fernsehers verzerren, und der sender zeigt sogar eine wiederholung.

die gesichter der äthiopier im hotelinnenhof entspannen sich. einige minuten später, schnaffi und antenne haben wieder die sansibarische abwehr durcheinandergebracht, der wird in die rechte strafraumhälfte gepasst, aider, dieser ballfuchs, stoppt vorbildlich, legt sich auf rechts vor, zieht ab und tor! 2:0 für äthiopien. da sah der sansibarische torwart alt aus, als die kugel an ihm vorbei ins rechte obere eck zischte. kurz vor schluss besorgt aider mit einem flachen 20-meter-schuss ins linke untere ecke den 3:0-endstand.

die zuschauer tanzen, gesänge erschallen von der tribüne, die denselben rhythmus wie in unseren stadien haben. eine äthiopische pop-ikone mit weissen haaren schmettert nach abpfiff ein patriotisches lied, und draussen hört man die ersten autos hupen. heute sind alle glücklich. -nbo   PS: äthiopien besiegte im halbfinale kenia glücklich im elfmeterschiessen und im finale burundi mit 3:0, diesmal aber souverän. da war vielleicht was los.


in der recycling-stadt
addis, 20.12.2004





in addis gibt es nicht einfach nur einen markt. es gibt den "mercato". den grössten markt in ostafrika. eine stadt in der stadt. er ist so gross, dass man wir ihn zunächst fast übersehen. denn all die wellblächdächer, die sich westlich vor der piazza den hang hinabziehen, sind keine dächer von heruntergekommenen wohnhäusern. es sind marktbuden, zwischen denen sich gänge von höchstens anderthalb metern breite befinden.

der mercato erfordert eigentlich einen eigenen stadtplan. da gibt es ein ganzes viertel, in dem nur stoffe verkauft werden, so gross wie in vielen anderen städten der ganze markt, viertel für schuhe, korbwaren, haushaltskram...

nachdem wir zwei stunden in sengender hitze durch dieses scheinbare durcheinander gelaufen sind, kommen wir in eine gasse ohne asphalt, voller schotter und schlaglöcher. laster und minibusse sind in einem stau verkeilt, es geht nicht vor und zurück, menschen sich durch die wagen. an einer ecke werden leere mineralwasserflaschen zu bündeln verschnürt, leere konservendosen gesammelt. ein paar meter weiter stossen wir auf alte reifen. ein paar werden zerschnitten und in badelatschen umgewandelt. wir gehen weiter, winden uns zwischen "you" rufenden kindern und neugierigen erwachsenen hindurch. die gasse wird immer enger und schmutziger, fällt ab, ölschlieren schimmern in pfützen zwischen dicken wackersteinen. ein paar männer sitzen in diesem dreck und biegen armiereisen zurecht. hier ist kein durchkommen, wir suchen einen anderen weg.

ein lautes hämmern ertönt. schwarzverschmierte männer schlagen auf ausrangierte stossdämpfer von lastern und bussen ein. wir biegen um die ecke und landen in einer "stahlhandlung". überall sind stäbe in bündeln gestapelt, die meterhoch in den himmel ragen. einige meter daneben schneiden andere lederriemen zurecht. frauen tragen körbe und wannen vorbei, niemand steht still, alle such den weg zu einem gegenstand, der ihnen fehlt. ein mann sitzt in einem verschlag und repariert bügeleisen. an den wänden stapeln sich elektroartikel und elektroschrott, laden an laden, kein knopf, kein schalter, kein motor, der sich hier nicht finden liesse.

was bei uns wahlweise als ökonomischer luxus oder ökologische zukunftsvision gilt, hier ist es blanke überlebenskunst. alles muss wiederverwertet werden, weil das neue unbezahlbar ist. die alltagstechnik, die wir im geschäft kaufen, ist hier ein schweineteurer import, den sich nur die upper class leisten kann. der rest ist auf die kunst des recyclings angewiesen. was uns auf den ersten blick bemitleidenswert oder rückständig vorkommt, ist möglicherweise eine notwendigkeit in der zukunft auf einem ausgelaugten planeten.

wenn bei uns eine neue ölkrise oder ein crash der weltwirtschaft die hightechzivilisation zusammenbrechen liesse, wäre addis längst gewappnet. hier wüsste man die lebensdauer der technosphäre noch um jahre zu verlängern, wenn man bei uns schon längst resigniert hätte, weil nichts mehr geht. -nbo


nachrichten aus äthiopien
addis, 20.12.2004

es gibt hier erstaunlich viele zeitungen, diverse auf amharisch, aber auch einige englischsprachige tages- und wochenzeitungen. das ereignis der letzten woche war der besuch von bundespräsident horst köhler, der sich tatsächlich drei tage zeit nahme, um das hundertjährige jubiläum der deutsch-äthiopischen beziehungen zu würdigen. im gepäck hatte er einen schuldenerlass von 70 mio. euro. das klingt nicht viel, aber in birr umgerechnet sind es 770 mio. wenn man berücksichtigt, dass im alltag ein birr eine ähnliche kaufkraft hat wie ein euro bei uns, ist das eine ungeheure summe. ungeheuerlich ist aber auch ein lapsus der deutschen delegation, den die hiesigen zeitungen kritisch vermerkt haben. seit jahren verweigert der äthiopische premier meles zenawi unabhängigen medien die teilnahme an seinen regie-rungspressekonferenzen. nun hatten die deutschen im vorfeld des köhler-besuchs den wunsch angemeldet, dass das bei der gemeinsamen pressekonferenz anders sein solle. irgendein ministerium versprach sich, darum zu kümmern. das war's dann auch. als die konferenz stattfand, kamen wie üblich nur die journalisten der staatlichen medien. das ist nicht nur peinlich, sondern skandalös. es wäre ein leichtes gewesen, für den schuldenerlass so viel entgegenkommen durchzusetzen. stattdessen räsonnierte köhler in wohlfeilen worten über die probleme afrikas mit korruption und demokratisierung. der wortlaut seiner rede war überall abgedruckt. viel heisse luft. und einem premier, der äthiopien massgeblich mit in den absurden krieg gegen eritrea (1998 - 2000) hineingeritten hat, erlässt man das minimum demokratischer kultur.

in äthiopien gibt es 4,7 mio. waisen, lese ich. zurückgelassen von hunger, krieg und AIDS. das sind immerhin 7 prozent der gesamtbevölkerung.

ein neues gesetz legt erstmals eine mindeststrafe für vergewaltigungen fest, nämlich 5 jahre. wie eine frauenrechtlerin hierzu in einer zeitung bemerkte, konnten vergewaltiger bisher damit rechnen, mit läppischen strafen davonzukommen (wenige monate, geldbusse).

gewalt gegen kinder und frauen scheint in äthiopien ein echtes problem zu sein. in mehreren zeitungen wurde innerhalb der letzten acht tage darüber berichtet. vor allem eine strikte festschreibung von kinderrechten fehle bisher.

und noch einmal premier meles zenawi. der hat vor kurzem einen 5-punkte-friedensplan für den konflikt mit eritrea vorgelegt. das erstaunliche: zenawi begnügt sich nun damit, den zustand vor dem krieg von 1998 wiederherzustellen, den er vor zwei jahren noch als inakzeptabel bezeichnet hatte. die fünf punkte sind ein witz. punkt 1 beinhaltet zum beispiel, dass sich äthiopien dem frieden verpflichtet fühlt. so füllt man diplomatisches papier.

die wochenzeitung "capital" titelte "water crisis in addis". der zustand der wasserversorgung in der hauptstadt ist offenbar total verrottet und chemisch belastet. und in naher zukunft wohl irreparabel. das ist um so erstaunlicher, als grosse teile äthiopiens nicht unter wassermangel, und addis liegt im zentralen hochland, das saftig grün ist. der leitartikel von capital war dennoch tiefpessimistisch. "ethiopia is dying" lautete die these. -nbo


Der Garten Afrikas
Addis, 20.12.2004

Denkt man an Äthiopien, kommen sofort die Katastrophenbilder aus den 80ern in einem hoch. Blähbäuchige Kinder mit unzähligen Fliegen in jeder Kopföffnung und hungrigen glasigen Augen. Heute, 20 Jahre nach der Dürre, hat das nur noch wenig mit diesem Land zu tun. Hier wachsen Früchte aller Art in Hülle und Fülle, Mangos, Papayas, gigantische Bananen, Orangen. Hier muss keiner hungern. Der rote Boden ist der fruchtbarste, den es gibt.

Trotzdem, würde wieder eine Ernte ausbleiben, wüsste sich auch heute keiner zu helfen, die Probleme wären heute die gleichen, wie vor 20 Jahren. Keiner hat hier etwas dazugelernt, es gibt keine Vorratshaltung oder vorrausschauende Vorsorge.

Was geblieben ist aus deser Zeit, ist der Glaube an die westliche Hilfe, vor allem in finanzieller Hinsicht. Warum deswegen auch planen? Man muss doch nur abwarten, bis die nächste Katastrophe kommt und man wieder überschüttet wird mit Hilfsgütern aus aller Welt.

Der körperliche Hunger ist einem anderen Bedürfnis gewichen, dem Hunger nach Wohlstand. Doch dafür sind es einfach zu viele, eine Bevölkerung von 72 Mio. Menschen, von denen es jeder als Erster geschafft haben will.

Und plötzlich ist nichts mehr übrig von der vollmundig beteuerten afrikanischen Gelassenheit. Es wird gerempelt, getreten und gespuckt. Es regiert der Instinkt, von Zivilisation weit entfernt. Die Scheisse quillt unter Klotüren durch, Hygiene ein Fremdwort, Krankheiten können sich verbreiten, wie Lauffeuer. Wenn eine Population aus den Fugen grät, herrschen animalische Zustände. Vor allem, wenn der überdurchschnittliche Teil unter 25 Jahre alt ist, eine pubertierende Bevölkerung ohne die so notwendige Weitsicht.

Wieso auch an morgen denken, wenn es uns doch heute gut gehen soll? "Hey mister, give me five Birr!" Schnorren kann hier jeder, diese Lektion haben sie von ihrer Regierung nur zu gut gelernt. nach Diktat verreist -dwo


Brot für die Welt
Arba Minch, 21.12.2004

Wer kennt sie nicht, die zahllosen nichtstaatlichen Organisationen, in denen man gerade zur Weihnachtszeit sein Gewissen erleichtern kann. Dann herrscht hier Hochkonjunktur, und das nicht nur in den Spendentöpfen. Auch in den teuersten Hotels des Landes, in denen die Angestellten dieser Organisationen (NGOs) weihnächtens zu residieren pflegen.

Im Bekele Mola Hotel in Arba Minch, in dem wir uns eine gepflegte Pause gönnen wollen (das Zimmer immerhin zu 288 Birr) haben wir Glück und bekommen das letzte freie Zimmer. Alle anderen sind schon seit Wochen ausgebucht, von NGOs, wie wir vom Manager erfahren. Da geht das Geld also dahin. Geld, bei dem der edle Spender sicherlich dachte, damit ein hungriges Mäulchen zu stopfen zu können oder dringend benötigtes Schulmaterial und nicht den Weihnachtsurlaub irgendeines "Wohltäters" zu finanzieren.

Wieviel der Spendeneinnahmen tatsächlich beim Empfänger ankommt, nachdem Administration, Managergehälter und Fuhrpark abgezogen sind, ist unüberschaubar. Es mag vielleicht idealistisch klingen, aber abgesehen von medizinischen Unterstützung sollte Helfen kein Berufszweig sein, sondern vielmehr eine Herzensentscheidung, ehrenamtlich, Hochqualifizierte nicht ausgeschlossen. Wenn ich sehe, wo hier das Geld versickert, bleibt für andererleuts Weihnachts-Chichi meine Tasche jedenfalls zugeknöpft. nach Diktat verreist -dwo


gech
arba minch, 22.12.2004

"ich bin auf dieser strasse gross geworden", sagt gech und zeigt auf die buckelpiste vor der flamingo pastry. das ist die hauptstrasse der unterstadt von arba minch. seine haare will re sich jetzt lang wachsen lassen. im nacken baumeln ein paar kurze geflochtene zöpfe, wie manche hiphopper das tragen.

in sechs monaten wird gech vater. "das baby wird ein makiato." ein milchkaffee, denn die mutter ist eine engländerin, die er hier in arba minch kennengelernt hat, als sie als englischlehrerin arbeitete. jetzt ist sie wieder in london und im frühjahr will er sie dort besuchen. "aber ich will nach paar monaten wieder zurück, am liebsten meine eigene agentur aufmachen."

gech ist anders als die "lost generation", wie woldo und ich die jungen männer zwischen 15 und 30 getauft haben. gech kennt deren traum. "die glauben, dass in europa das geld auf den bäumen wächst." sie hoffen auf das schnelle geld, das man den "faranji", den touristen, aus der tasche ziehen kann. natürlich ohne arbeit. bloss keinen finger krümmen und sich am besten noch den nagel vom kleinen lang wachsen lassen.

und was macht die lost generation den ganzen tag? "24 hours ass-working", sagt gech trocken. also rumsitzen und nach touristen ausschau halten. gech hat als kleiner steppke am busbahnhof für touristen rücksäcke getragen und dabei das erste englisch aufgeschnappt. wie viele andere.

aber irgendwann hatte er eine neue idee, neu jedenfalls für den ort. er machte einen büchertausch für traveller auf. engländer schickten ihm 50 gelesene bücher zu, und dann zog er mit seinem stapel durch die cafes. wer ein buch tauschte, musste 5 birr zahlen. das brachte ihm schliesslich genug geld ein, um mit zwei freunden für 30 birr im monat ein zimmer zu mieten, ohne wasser und strom. endlich weg von der strasse.

dann überzeugte er eine reisegruppe, ihn mit ins omo valley zu den stämmen zu nehmen. so fing er an, das tal kennenzulernen, bis er selbst tourguide wurde. das geld reichte dann, um ein ganzes haus zu mieten.

mit seiner mutter hat er dann auch noch ein waisenhaus aufgemacht. 40 kleinkinder leben dort, ältere nicht, die könne man nicht mehr auf den richtigen weg bringen, sagt er. er hat auch anderen strassenkindern jobs organisiert. "die leute hier in den läden", und er zeigt auf die andere strassenseite, "haben alle genug geld. von denen ist keiner arm. aber sie kümmern sich hier um nichts."

warum gibt es nicht mehr typen wie gech? es sind offenbar vor allem europäische traveller gewesen, die ihn geprägt haben. "I love this generation from europe." für die mutter seines makiato will er putzen und kochen, wenn das so sein muss, so wie es in europa inzwischen auch selbstverständlich für männer ist.

mit den äthiopischen frauen kann er nicht mehr viel anfangen. "die waschen ihren männern sogar die füsse." und vergässen dabei das leben, sagt er. das leben, das ihn fasziniert. anfang 20 ist gech erst, aber ich glaube, er ist sogar weiter als viele der von ihm bewunderten generation in europa. -nbo


Das gut versteckte Paradies
Arba Minch, 23.12.2004





Der Süden Äthiopiens ist abgesehen von seiner Naturvielfalt in jeder Hinsicht unterentwickelt. Und wenn es nach der Regierung geht, soll es so auch bleiben. Eigeninitiativen, wie zum Beispiel die touristische Erschliessung dieser Region werden finanziell nicht unterstützt oder sogar vereitelt. Dies erzählt uns Kapo Kansa, der das Tourist Office in Arba Minch im Alleingang schmeisst und der diesen Boykott schon am eigenen Leib erfahren hat. Der Süden mit den Naturparks Omo Valley und Rift Valley wird vorsätzlich ausgeblutet. Das ganze Geld geht in den Norden, dorthin, wo die meinungsstarke Wählerschaft sitzt. Was für uns als Touristen durch die Ursprünglichkeit dieses Landstrichs reizvoll scheint, ist für dessen Bevölkerung eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Die nötigen Gelder für Wasserversorgung und Strassenbau bleiben aus, damit der Norden blüht. In keinem äthiopischen Bildband ist auch nur ein einziges Foto dieser Region abgedruckt. Jetzt weiss ich auch, warum.  nach Diktat verreist -dwo


die alltägliche plünderung
arba minch, 24.12.2004





tief hängt die graue wolkendecke über dem rift valley, giesst den nechisar national park zu füssen unserer hotelterrasse noch einmal kräftig. als wir mit unserem guide kapo kansa nach dem frühstück den steilhang hinuntergehen, kleben uns schon nach wenigen minuten zentimeterdicke schlammklumpen unter den sohlen. die wolken haben aber auch ihr gutes. es ist angenehm kühl in dem friedlichen wald unten in der talebene, der die beiden seen abaya und chamo von einander trennt.

doch von dschungel kann hier keine rede sein. der wald ist stellenweise gelichtet wie deutsche vorstadtwälder. immer wieder hören wir eine axt durchs grün schallen. einen burschen treffen wir, der in einer baumkrone hockt und einen riesenast abhackt. krachend fällt der zu boden. an den zweigen hängen trauben von dokme, kirschenähnlichen früchten. so erntet man hier also obst, anstatt es zu pflücken, wird kurzerhand der halbe baum umgehauen.

wieder und wieder sehen wir frauen schwere brennholzbündel aus dem unterholz schleppen. als wir nach stunden schwitzend und schnaubend auf dem hügel auf der anderen seite des waldes stehen - mit einem grandiosen blick über beide seen -, runzelt kapo die stirn. "da hinten an dem hang fehlen ein paar bäume." jeden tag wird der nationalpark ein wenig mehr ausgeplündert. bis eines tages auch hier in arba minch das tal so kahl ist wie in den meisten teilen äthiopiens, durch die wir gefahren sind. dann werden dort höchstens ein paar eukalyptusbäume stehen, die schön schnell wachsen, aber die böden entwässern und auslaugen.

auf dem rückweg durchqueren wir eine riesige lichtung, die von kühen und ziegen halob kahl gefressen worden ist. die blanke rote erde lugt zwischen weit auseinander stehenden hohen grasbüscheln hervor. die üblichen wolkenbrüche werden sie eines tages in die seen gespült haben. -nbo


Stille Nacht, heilige Nacht
Arba Minch, 24.12.2004

Nach unserem Weihnachtsspaziergang quer durch das Rift Valley machen wir es uns nach anstrengendem, 8-stündigen Fussmarsch durch sumpfigen Dschungel und brüllheissem Aufstieg des 400m hohen Hügels glücklich und erschöpft mit einem Bier auf der Hotelterrasse gemütlich und schauen auf unsere vollbrachte Leistung zurück.

"May I get this chair?" frage ich einen Äthiopier am Nebentisch. "Ja, der ist frei", antwortet dieser mit gerolltem 'R'. "Oh, Sie sprechen deutsch?" "Ja, ein wenig", schmunzelt er. "Ich wohne seit 20 Jahren in Deutschland, im Siegerland." "Mensch, das is ja'n Ding. Kennen Sie Müsen?" "Ja sicher, ich wohne in Kreuztal." "Achwas! Meine Schwester wohnt mit ihrer Familie in Hilchenbach." "Ja, das kenne ich, ist nur 10 Kilometer von uns entfernt, Zufälle gibt's!" Sein Sohn Daniel kommt dazu, ein knorke Typ, 14 Jahre, Wuschelkopf, aber wir müssen dringend duschen.

Als wir nach einer dreiviertel Stunde auf die Terrasse zurück kommen, erwarten uns die Beiden schon am gedeckten Tisch, mit Blumen und brennender Kerze. "Das war Daniels Idee" sagt Bezabeh stolz. "Ich möchte Sie heute abend einladen, hier in meinem Land, weil ich den Deutschen etwas zurückgeben möchte." Wir sind platt und gerührt von so viel Herzlichkeit.

Er fängt an zu erzählen, von seiner Anfangszeit in Deutschland. 3 Monate nur Pommes und Currywurst, weil er nicht wusste, wie er etwas anderes bestellen sollte. Heute ist er hier in Arba Minch, um nach seinem Schulprojekt zu schauen, das er mit privaten Spendengeldern hochgezogen hat. "Klein, aber fein", sagt er. "Wir ermöglichen Kindern, die ihre Eltern durch AIDS verloren haben, eine Schulausbildung. Denn das ist die Voraussetzung für ein besseres Leben. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mir mit meiner Schwester damals einen Bleistift teilen musste. Ich weiss, woran es hier mangelt."

Diesmal hatte er neben T-Shirts der Sparkasse Siegen zwölf Laptops im Gepäck, sein ganzer Stolz. Alles finanziert mit privaten Spenden. Wir verabreden uns für den nächsten Tag, um dieses Schulprojekt zu besuchen. Wir reden und reden und unterdessen hat sich der Himmel mit drohend schwarzen Wolken zugezogen. Es blitzt und donnert jetzt und schüttet wie aus Eimern. Wir sitzen mitten im Gewitter unter der überdachten Terrasse, durch das Rift Valley schiessen schwefelig-silbrige Blitze, die das ganze Tal erleuchten, eine gewaltige Szenerie.

Während unserer angeregten Unterhaltung ziehen wir gemeinsam über die NGOs her und bekommen gar nicht mit, dass sich das Unwetter mittlerweile verzogen hat. Zum Schluss werden wir noch überhäuft mit Segen und guten Wünschen und fühlen uns zu Heilig Abend wieder einmal sehr willkommen in der Ferne. Kann es Zufall sein, dass wir dieses liebenswerte Vater-Sohn Gespann ausgerechnet heute getroffen haben? nach Diktat verreist -dwo


small is beautiful
arba minch, 25.12.2004





bezabeh, unser weihnachtsmann gestern und eine wahre seele von mensch, zeigt uns mittags sein schulprojekt. von den spenden aus dem siegerland, wo er seit den achtigern lebt, hat er gebrauchte laptops, PCs, drucker und scanner organisiert und nach arba minch gebracht. zusammen mit einigen verwandten und bekannten hat er dort das private omo teachers training institute (omo TTI) gegründet. "ich habe allen auf unserer sitzung heute morgen noch mal klar gemacht, dass das hier kein profitunternehmen ist", erzählt er uns.

für ihn ist es echte hilfe zur selbsthilfe, vorbei an NGOs und internationalen grossprojekten, in denen das geld zu oft versickert. am omo TTI werden 300 grundschullehrer ausgebildet. zehn monate dauert das programm, das in zwei etagen eines versicherungsgebäudes in der oberstadt von arba minch stattfindet. ein lehreranwärter benötigt für diese zeit samt miete und essen 480 euro. was für eine lächerliche summe für uns, die wir zuhause womöglich an einem langen wochenende in einer europäischen grossstadt auf den kopf hauen.

bezabeh ist äthiopier und siegerländer zugleich. dass ausländer hier in äthiopien manchmal "sonderpreise" aufgedrückt bekommen, beschämt ihn, vor allem, wenn es seine freunde sind. über die wasserversorgung in arba minch gerät er richtig in rage. obwohl es manchmal schüttet und die stadt 40 natürliche quellen hat, gibt es manchmal jeden zweiten tag kein wasser. von den zwei pumpen des wasserwerks, die vor 20 jahren aus deutschland kamen, funktioniert nur noch eine richtig.

bezabehs nächstes projekt ist die errichtung einer modellgrundschule, an der die frischgebackenen lehrer des omo TTI das gelernt gleich umsetzen können. wenn er das zum laufen bringt, hat er mit seinen freunden ein modell für all die kommunen geschaffen, die die misswirtschaft in addis links liegen lässt. selber machen statt eloquent zu lamentieren oder neoliberalen effizienzträumen nachzuhängen. E.F. Schumacher, der schöpfer der "small is beautiful"-idee, hätte seine freude gehabt. -nbo


entschleunigung bis zum stillstand
konso, 26.12.2004




von der balkonveranda des st. mary hotels, des einzigen dreistöckigen hauses in konso, beobachte ich die zentrale kreuzung dieses bergortes. die äthiopische fahne flattert über der verkehrsinsel im wind. in der morgendlichen sonne werfen menschen und kühe noch lange schatten über die rote schotterstrasse. alles scheint scheint wie in zeitlupe abzulaufen. niemand eilt irgendwohin.

nur ein paar kinder rennen kurz hinter einem jeep her. spätestens mit 13 werden sie sich das abgewöhnt haben. danach werden sie nur noch schlendern wie alle erwachsenen männer hier. die strasse rauf und wieder runter, einmal um die verkehrsinsel, um dann für eine halbe stunde auf der mauer der einzigen tankstelle von konso zu sitzen. um zu warten.

aber vielleicht ist schon "warten" ein falsches wort, ein westliches wort. in konso wird heute, an einem sonntag, nichts passieren. der bus aus arba minch ist schon angekommen, der aus jinka wird gleich da sein, und das war's dann. mehr busse kommen nicht. ein paar faranji fahren in der jeep-kolonne einer organisierten tour in den hof gegenüber. nur ein paar frauen ackern schwer und schleppen tiefgebückt riesige brennholzbündel auf dem rücken über die kreuzung. die männer schaukeln lieber ihre eier - eine rollenverteilung wie in vielen (dritt)weltgegenden.

an diesem leben prallen sämtliche konzepte der westlichen moderne ab. "effizienz", "produktivität", das lässt sich wahrscheinlich in der konso-sprache nur umständlich umschreiben. alles ist bricolage, improvisation, reine gegenwart, aber ohne jede romantik oder erleuchtung, nein, ganz schier. da ist nichts cooles, nicht faszinierendes dran. eine entschleunigung, die im stillstand endet. nicht das, was sich der von burnout bedrohte westler unter einer lektion "entschleunigung" vorstellt. es gibt nichts zu lernen. alles, was sich da unten abspielt, ist offensichtlich und belanglos. für den westler gibt es keinen weg, der dort unten auf die kreuzung führt. er wird dort nie ankommen können. völlig ausgeschlossen. -nbo


in anti-äthiopien
konso, 26.12.2004





mit einem isuzu-LKW fahren wir von konso in eins der umliegenden bergdörfer. äthiopien ist hier längst zünde. die menschen sprechen nicht mehr amharisch, sondern konso. wie vogelnester thronen diese dörfer auf 1500 meter hohen gipfeln.
was wir dort finden, ist eine überraschung: eine fast mittelalterliche stadt, machekie. von engen steinmauern eingefasste gassen ziehen sich zwischen familiengrundstücken mit strohlehmhütten dahin, öffnen sich zu grossen plätzen. 5000 menschen leben hier auf engstem raum, davon allein 1000 kinder im grundschulalter und jünger. wir sind attraktion, sie folgen uns schnatternd und fragend auf schritt und tritt.

dinote, unser guide, erzählt uns, dass noch vor einigen jahren die menschen weggerannt sind , als er erste touristen hierher brachte. er musste die einwohner geradezu anbetteln, für ein foto näherzukommen. die leute hier haben schnell begriffen, dass dabei etwas zu holen ist. heute recken sich unzählige hände nach einem birr-schein. frauen posieren mit einem baby an der brust, einer wollspindel in aktion.

alle 18 jahre errichten die machekianer einen neuen generationspfahl auf ihren plätzen. daran machen sie ihre zeitrechnung fest. wie alt einer genau ist, wissen sie nicht, nur ob einer vor oder nach dem aufstellen eines pfahls geboren wurde. die machekianer sind aber vor allem in einer hinsicht bemerkenswert. sie sind die einzigen in ostafrika, die seit jahrhunderten eine landwirtschaft auf befestigten terrassen betreiben. dadurch haben sie verhindert, dass an den berghängen der boden durch erosion abgetragen wird.

die gesellschaftsordnung ist noch strikt. junge männer müssen zwischen ihrem zwölften geburtstag und der heirat in gemeinschaftshäusern wohnen. sex vor der ehe ist verboten. und wo sollte er auch stattfinden, in dem engen dorf bleibt nichts unbemerkt, kennt jeder jeden.

ich frage mich, wovon die jungen, die auf uns einreden, träumen. "willst du hier bleiben oder nach addis gehen, wenn du gross bist?" frage ich einen, aber er schaut mich nur verständnislos an. wer weiss, was passiert, wenn einer hier die satellitenschüssel mitbringt.

auch im weiter entfernten omo valley ist die zeit - noch - stehengeblieben, wie uns kapo kansa, unser guide in arba minch, erzählt hat. leo, ein sehr netter holländer, der vorhin in konso eingetroffen ist und mit uns die tour macht, berichtet von einem erlebnis auf dem markt in jinka. dort habe er eine frau in stammestracht fotografiert und das foto mit einem stück seife bezahlen müssen. die frau aber habe die seife angeschaut wie einen ausserirdischen gegenstand, als wisse sie nicht, was sie damit machen solle.

südwestäthiopien ist ein flickenteppich von stämmen (und sprachen), die mit der moderne bisher nur über kameraobjektive von touristen, alkohol und birr-geldscheine in berührung gekommen sind. die äthiopier, also die tonangebenden stämme der amharer (20 mio), oromier (16 mio) und tigrinier (5 mio) aus dem norden, empfinden sie ebenso als kolonialherren wie diese früher die briten oder italiener. für sie ist die äthiopische nation ein sinnloses konstrukt. -nbo


durchs rift valley
27.12.2004





ich bin glücklich wie ein kind, dass stundenlang in einem spielzeuglaster umhergefahren wird. fühle mich zurückversetzt in jene zeit vor 30 jahren, als wir aus dem ruhrgebiet nach hessen zogen und ich zwischen kisten, teppichrollen und anderem kram rumtollte. so ähnlich sieht es auch auf der ladefläche des trucks aus, der drei stunden durchs rift valley braust. mangokisten, chatsäcke, autoreifen, kartoffelsäcke, darauf und dazwischen unglaublich viele menschen...

der heisse fahrtwind bläst mir ins gesicht, täler öffnen sich zu weiter savanne, gewaltige bergrücken nähern sich und verschwinden wieder, während die ausladenden afrikanischen bäume vorbeifliegen. da, drei dik-diks, hasengrosse antilopen, überqueren die strasse. eine pavianfamilie. wir halten in einem ausgetrockneten dorf. eine dicke frau verkauft von unserem laster herunter bündelweise chat, diese wachmacherblätter. arme recken sich, birr-scheine werden über den wagenrand gereicht, aufgeregte gesichter, aufgebrachte stimmen, das wöchentliche dope ist da.

dann fahren wir weiter und lassen eine rote staubfahne zurück. termitenhügel säumen die schnurgerade piste wie insektenwolkenkratzer. ein paar männer tauchen am horizont auf, einige rufe, wir halten. alle fünf haben ein gewehr umgehängt, einer eine kalaschnikow. aber sie haben nichts übles im sinn. auch sie warten nur auf ihre chatration, die sie für die nächsten stunden high machen wird. der einzige kick, den diese leere landschaft hergibt.

wir lassen die knarrenträger und das tal hinter uns, der truck quält sich jetzt die berge hinauf, die bäume stehen dichter, alles ist saftig grün. irgendwo knabbern kamele an zweigen. "you" sagt der junge bursche mir gegenüber, "photo?" ich schüttele den kopf. diese bilder kann man gar nicht alle festhalten. es sind zu viele. grossartiger als kino. -nbo


Ein Schulaufsatz
28.12.2004

Heute sind wir busgefahren, von Äthiopien nach Kenia. Wir haben viele Tiere gesehen. Zwei Dik-Diks und eine Antilope und einen grossen Leoparden. Alle tot. Plattgefahren auf dem Trans-Afrika Highway. Wie schade. nach Diktat verreist -dwo


endlich in kenia
moyale, 28.12.2004

chronik

etappen
hamburg – istanbul
istanbul – dahab
dahab – wadi halfa
wadi halfa – addis
addis – nairobi
nairobi – nungwi
nungwi – kyela
kyela – tofo
tofo – kapstadt

gedanken
was ist reisen?
verschiedenes

länder
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