gespraech im auto
goereme, 4.11.2004

tourguides sind an sich eine wenig geachtete spezies. meist erzaehlen sie nur das offensichtliceh oder repetieren den bodensatz des wissens, der sich in besseren reisehandbuechern findet. als quelle fuer interessante einblicke in eine kultur sind sie nicht zu gebrauchen. aber es gibt ausnahmen. unser guide bora bilen ist eine davon. der mann (ende 20) tritt in abgewetzten trendjeans und mit ungewoehnlichem after-shave auf den plan (eine tour zu einer unterirdischen stadt von christen aus dem 6./7. jahrhundert). dann beginnt er zu erzaehlen - und hoert den rest des tages nicht mehr auf. er, der geschichte studiert hat und das politische zeitgeschehen regelrecht aufzusaugen scheint (nebenbei, er ist staatlich lizenzierter guide), entpuppt sich als origineller, mitunter provokativer kopf, der einen gewissen kemalistischen nationalstolz nicht verbergen kann und will. waehrend er am lenkrad sitzt, laesst er permanent osmanische militaermaersche laufen. die hielten ihn beim fahren wach, sagt er. und waehrend er bei seinem vortrag mit einigen "touristischen luegen" aufraeumt und stattdessen mit liebe zum detail die geschichte der unterirdischen staedte erlaeutert, erklaert er uns nebenbei seine sicht der welt. well, hier ein paar beispiele. zum irakkrieg, von dem er nichts haelt: es sei klar, warum deutschland, frankreich und russland nicht mitgemacht haetten. alle drei haetten seit langem die UN-sanktionen gegen saddam husseins regime unterlaufen und- anders als die USA - in den letzten jahren florierende wirtschaftsbeziehungen zu saddam aufgebaut. die wollten sie sich nicht kaputt machen, und nur deshalb haetten sie george bush einen korb gegeben. zum EU-beitritt der tuerkei: fuer ihn gebe es keinen grund, die tuerkei nicht aufzunehmen. nur faule ausreden seitens der europaeer. doch der zug sei eigentlich abgefahren. die tuerken seien zu lange, seit den 60er,n von den europaeern an der nase rumgefuehrt worden. und fuer die tuerkei lohne sich die EU auch gar nicht mehr. "der europaeische basar ist voll." was solle die tuerkei dort verkaufen? die zukunft sei ein buendnis mit russland. dort koenne man den russischen basar noch mit tuerkischer wirtschaftspower ("10 prozent wirtschaftswachstum letztes jahr, mehr als china!" sagt er) noch aufbauen. zum genozid der tuerken an den armeniern in den 20ern: als das osmanische reich nach dem ersten weltkrieg zerfiel, haetten die europaeer auch das gebiet der heutigen tuerkei unter sich aufteilen wollen, mit istanbul als internationaler stadt. und waehrend atatuerks armee an vielen fronten um die unabhaengigkeit der tuerkei kaempfte, haetten die griechischen und armenischen christen in anatolien die dortige zivilbevoelkerung massakriert. als die tuerkische armee an den aussengrenzen gesiegt hatte, habe sie eben die brutalen griechen und armenier aus dem land geschmissen. er wolle die tuerkische politik der vergangenheit nicht schoenreden, aber der begriff "genozid" passe hier nicht. das sei ein buergerkrieg gewesen und kein staatlich geplanter mord an den armeniern. zu den tuerken in deutschland: die moege in der tuerkei keiner. das seien alles angeber, die nur kommen, um ihren mercedes zu zeigen. im grunde der unqualifizierteste teil der tuerkischen bevoelkerung, der hier niemandem fehle. natuerlich hatte er auch noch ein paar leichte verschwoerungstheorien zu anderen heissen eisen der weltpolitik parat, aber die trug er sehr intelligent vor. wenn einer von euch mal nach kappadokien kommt, macht eine tour mit ihm. es ist keine sekunde langweilig (kontaktdaten folgen noch). -nbo

 

in asien
goereme, 3.11.2004

um 6 h morgens oeffne ich im sitz unseres nachtbusses die augen. hinter einer bergkette am horizont leuchtet rot der himmel, die sonne ist noch nicht aufgegangen. auf der leeren strasse gleitet der bus geradezu ueber die weite baumlose landschaft in den morgen hinein. diese leere ringsum, diese herrliche leere. keine haeuser, keine doerfer, nichts. wir sind endlich in asien. als wir zweieinhalb stunden spaeter in goereme in kappadokien (zentraltuerkei) ankommen, finden wir uns in lummerland wieder. so phantastisch sehen die tuffsteinkegel in dem weiten tal aus. ich wuerde mich nicht wundern, wenn ploetzlich herr turtur, der scheinriese aus "jim knopf", hinter einem dieser seltsam phallischen felsgebilde hervortraete. bei naeherem hinsehen sind sie alle durchloechert wie gigantische sandburgen, in die kinder zu viele tunneleingaenge gegraben haben. es sind verlassene hoehlenwohnungen, eingaenge zu versteckten kirchen und taubenschlaege (in dem guano fuer naturduenger gewonnen wird). nach fuenf staedten in zweieinhalb wochen beruhigt diese surrealistische landschaft die sinne ungemein. erst recht nach dem treiben in istanbul. -nbo --- In Goereme erwartet uns Postkartenwetter. Strahlend blauer Himmel bei angenehmen 20 Grad. An dem etwas ueberdimensionierten Busbahnhof laesst sich unschwer erkennen, was hier in der Hochsaison los sein muss. Diverse Reihen Miet-Vespas und einige Fun-cars stehen jetzt nur noch gelangweilt am Strassenrand. Und in der Tat, dieser Ort hat allerhand zu bieten. Dass sie hier allerdings Teile von Star wars gedreht haben, ist nur ein Baer, den sie den Touristen aufbinden, wie wir am naechsten Tag von unserem schwer gespraechigen Guide erfahren. Nachdem wir am ersten Tag die spacige Landschaft noch auf eigene Faust erkundet haben, haben wir fuer den zweiten eine ausgedehnte Tor zu den entlegeneren Schauplaetzen, wie z.B. eine 54 meter tiefe unterirdische Stadt und den 140 km suedlicheren Canyon gebucht. Nach einem 8-stuendigem Hoer- und Seherlebnis habe ich eine audiovisuelle Magenerweiterung und schlafe auf dem Ruecksitz des Wagens ein. Ich kann nicht mehr, die totale Uebersaettigung. Goereme ist zwar eine Travellerhochburg, wo sich abends in den Restaurants die Rucksaecke mit ihren beeindruckensten Reisegeschichten gegenseitig zu ueberbieten versuchen, aber es ist auf jeden Fall ein sehr abgefahrenes Fleckchen Erde, das ich hier ueberhaupt nicht erwartet haette. nach Diktat vereist -dwo

 

Im Bus
2.11.2004

Um halb neun abends soll es losgehen, mit dem Bus von Istanbul nach Goereme, in der Mitte Anatoliens. Wir verschlendern noch den Tag in Aussuellungen und Cafes und gehen dann samt unseres Gepaecks zum Ticket Office, von dem uns ein Mini Bus zum Busbahnhof bringt. Vorher schenke ich noch einem auf der Strasse zu Liegen gekommenen Obdachlosen meine Regenjacke, die ich ja nun hoffentlich nicht mehr brauchen werde. Der Busbahnhof ist fuer Istanbul ungefaehr das, was fuer Frankfurt der Flughafen ist. Eine unueberschaubare dreigeschossige Bausuende aus den fruehen 70igern. Im Bus sitzen wir gerade erst auf unseren Plaetzen, als sich auch schon die Frau vor mir samt Sitz gemuetlich in die waagerechte Schraeglage bringt, um nichts anders zu tun, als genuesslich auf zwei Sitze ausgestreckt ihre Zeitung zu lesen. Es gibt eben immer Menschen die meinen, allein auf der Welt zu sein. Mein Buch eingeklemmt zwischen Brust und Vordersitz fange ich wie ein Rohrspatz an zu schimpfen, natuerlich auf deutsch. Als ich frage, ob wohl noch mehr Leute kommen, antwortet nicht Niels, sondern meine Vorderfrau: "Kann sein, ist noch nicht klar.", natuerlich auf deutsch. Ich schaeme mich ob meiner Flueche tief in meinen Sitz. Na prima, 11 Stunden Schaemen. Aber zum Glueck wird ja zwischendurch auch mal geschlafen. Lektion #1: Fluche nie in der Fremde, denn man koennte dich verstehen! nach Diktat verreist -dwo

 

ein paar tips zu istanbul
istanbul, 2.11.2004

uebernachten: wir haben im hotel residence gewohnt, in einer seitenstrasse der istiklal caddesi, der hauptstrasse von beyoglu (dem teil istanbuls noerdlich des goldenen horns). im 6. stock gibt es zwei zimmer mit eigener terrasse. doppelzimmer kann man fuer 40 euro pro nacht bekommen, wenn man das am telefon verhandelt. unten an der rezeption haengen naemlich phantasiepreise. cafes & bars: alkohol gibt es nur in laeden, die ausdruecklich "bar" drangeschrieben haben. ein schoenes, neues cafe ist die smyrna patisserie in der sesamstrasse, aeh susam sokak. sie liegt in einem ruhigen viertel, dass sich zur istiklal ein bisschen verhaelt wie paulinenplatz zum kiez (in st. pauli, fuer alle nichthamburger). die einrichtung erinnert an grosstante meets szeneschwule, sehr liebe- und geschmackvoll. ein richtiger intellektuellenschuppen ist das kaktus in einer querstrasse der istiklal, weiter oben richtung taksim-platz. toll zum diskutieren, nachdenken oder zugucken. absolut empfehlenswert ist die sofyali sokak, die gegenueber dem eingang zur tunel-bahn am ende der istiklal in einer zugewachsenen passage anfaengt. jede menge kneipen und bars, dort tummeln sich studenten und szene-publikum. besonders klasse ist das ebenfalls die kuerzlich eroeffnete restaurant-bar peradox. sehr stylisch, eine mischung aus designklassiker und ungesehenem. sehr gelungen. sonstiges: von time out gibt es eine englischsprachige istanbul-ausgabe, die monatlich erscheint. sehr hilfreich. und am unteren ende der istiklal gibt es eine tuerkisch-deutsche buchhandlung, in der man sich mit allem notwendigen lesestoff, vor allem deutschen uebersetzungen tuerkischer autoren, versorgen kann.

 

gespraech im basar
istanbul, 1.11.2004

der grosse basar in istanbul ist eine stadt in der stadt, nur komplett ueberdacht. als wir an einem kleinen platz an der hauptgasse des basars am tee nippen, tippt mich jemand von hinten an. ich drehe mich um: es ist eine aeltere frau mit streng zurueckgekaemmten und zusammengeknoteten haaren, schwarzer mantel, brille, schwarze stoffhose. "was fuer einen eindruck haben sie von all dem?", fragt sie mich langsam auf englisch. sie scheint aus istanbul zu kommen. ich erzaehle ihr, wie begeistert ich vor allem vom stadtteil beyoglu bin. aber damit laesst sie mich nicht entkommen. "so what?" bohrt sie. ich fahre fort, doch sie sagt immer nur, laechelnd: "so what? come on, tell me." sie nippt kurz an ihrer sprite und kramt eine zigarette aus ihrer tasche hervor. wie sich herausstellt, spricht sie auch deutsch, weil sie vor jahren in muenchen ihre doktorarbeit geschrieben hat. wir fahren auf deutsch und englisch fort. "ich fuehle mich fremd in diesem land, in meinem land", sagt sie. "ja, es macht mir angst." ich werde neugierig. das ist mehr als freundliche konversation mit einem touristen. ich beginne, ihr fragen zu stellen. sie ist etwa 60 jahre alt, universitaetsprofessorin, an welcher uni, verraet sie mir nicht. in den USA habe sie als jugendliche ebenfalls einige jahre gelebt. dann kommt sie zum kern: sie regt sich ueber die junge generation in der tuerkei auf. die denke nicht nach, ihre maxime sei nur das verkaufen. "it's all about selling." dabei muesse sich so viel aendern in diesem land. aber da muesse wohl erst eine neue generation heranwachsen. von der jetzigen sei nichts zu erwarten. sie habe nichts anderes im sinn, als im spiel des big business mitmachen zu koennen. das koenne sie bei ihren studenten beobachten. karriere zu machen, am besten in einem der grossen internationalen konzerne. die wuerden die besten leute abwerben. aber was koennten sie ihnen geben? "nichts. sie saugen nur ihre kraft aus." ihr sohn, 24 und elektroingenieur, sei auch schon in diesem "amerikanischen spiel" gefangen. "die menschen hier sehen nicht das big picture. sie haben keine eigenen ziele", stellt sie bitter fest, ohne resigniert zu wirken. den moeglichen EU-beitritt sieht sie skeptisch: "ich kenne die europaeische mentalitaet." die sei auch nur im business-denken verhaftet. "ist das alles, was europa uns anzubieten hat?" dann fragt sie mich: "was ist ihrer meinung nach die loesung? sehen sie eine alternative zu dieser lebensweise?" ich verstehe sie zwar, muss sie aber ehrlicherweise enttaeuschen: "darauf habe ich auch keine antwort." wir sind uns einig, dass die zeit der grossen politischen gegenbewegungen vorbei ist. "vielleicht muessen wir juengeren im kleinen ganz neu anfangen, parallel zum big business", versuche ich etwas optimismus zu verbreiten. sie lacht sarkastisch: "come on!" -nbo

 

snapshot #2
istanbul, 1.11.2004

an der wand haengt ein altes schwarzweissfoto der grande rue de pera. lange bevor sie zur istiklal caddesi wurde. drei brillen diskutieren mit nachdruecklichen gesten einen neuen roman, der als hardcover vor ihnen auf dem cafe-tisch liegt. eine blondierte frau mit stola-kragen und golden lackierten fingernaegeln schreibt in grossen zuegen ein gedicht in ein sehr grosses heft. tom waits raunt dabei nachlaessig zeilen aus dem lautsprecher. kein lachen im raum. nur gedankenschweres starren oder bedeutsames debattieren. eine zeitung kreist zwischen vier koepfen. eine literaturzeitschrift dient als beleg fuer eine aussage. die blondierte dichterin bestellt einen tee. die brillen erheben sich, und adriano celentano uebernimmt con una bella im dialog. ein junges lockenkoepfchen mit gezupften augenbrauen und teddyjacke laesst sich nieder. beim bestellen blitzt sie den gut aussehenden kellner an. an der bar ruettelt ein bezopfter zum x-ten mal am fast leeren whiskeyglas. ein blues setzt ein. im raum haengen schwere fragen: wie sieht der naechste schritt im leben aus? wie muss der naechste satz lauten? es riecht intellektuell, und der blues wechselt ins aufgeregte. das ist das kaktus kahvesi in beyoglu am montagabend, in einer seitenstrasse der istiklal caddesi. -nbo

 

Istanbul ist Westanbul
istanbul, 30.10.2004

Wer haette das gedacht! Der europaeische Teil der Stadt, noerdlich des goldenen Horns, in dem wir untergekommen sind, fuehlt sich ueberhaupt gar nicht befremdlich an. Die Gerueche aus den zig Imbisskuechen, die Auslagen in den Essvitrinen, alles wohlbekannt, wenn man aus Hamburg kommt und in St.Pauli wohnt. Wer hier schnurrbaertige Manner und bekopftuchte Frauen erwartet, muss lange suchen. Nur ganz vereinzelt mal ein Ottenser Gemuesebaeuerlein mit zerschlissenem Wintersakko und dem obligatorischen Erstlingswollmuetzchen auf dem Kopf. Erstaunlich modern und vor allem mit Menschenmengen gefuellt ist die Haupteinkaufsstrasse, die Istiklal, in der man zu jeder tages- und nachtzeit, egal ob werktags oder am Wochenende saemtlichen kaueflichen Geluesten nachgehen kann. Unzaehlige Kneipen, Cafés, Restaurants, Imbisse und Geschaefte reihen sich hier in bis zu acht Stockwerken aneinander. Gelassen gehts hier zu, geradezu froehlich, ich bin begeistert. Gegenueber unserem Hotel stehen gelangweilte Polizisten vor ihrer Wache und versuchen, ernst dreinzuschauen. Aber selbst sie scheinen darauf zu warten, mit den Vorbeigehenden ein nettes Schwaetzchen halten zu koennen. So modern und aufgeschlossen, wie man sich hier gibt, scheint dem Beitritt zur EU eigentlich nichts mehr im Wege zu stehen. Meine Segen haben haben sie. Aber nur unter einer Bedingung: das Fremdgehen darf nicht mehr unter Strafe gestellt werden, denn das ist ein Eingriff in die Privatsphaere eines jeden. Tags drauf ueberqueren wir mit der Faehre den Bosporus, um uns den asiatischen Teil der Stadt anzusehen. Kaum zu glauben, dass dies eine Stadt sein soll, deren Teile man nur mit einer viertelstuendigen Bootsfahrt oder ueber die lange Bruecke erreichen kann. Wie haben sie das denn frueher gemacht, als sie technisch noch nicht so fortschrittlich waren? Kurz hinter der Kaimauer erkenne ich auch schon den entscheidenden Unterschied dieser beiden Stadtteile. Hier geht es zu, wie ich es in der gesamten Stadt erwartet hatte. Wuseliges Treiben in den engen Basarstraesschen, alles ziemlich vermuellt. Uns da sind sie dann auch endlich: die breitbeinigen Jungs mit einem Gang, als haetten sie Rasierklingen in den Achselhoehlen, das wichtigste Ausstattungsmerkmal ihres Autos die Bassbox. Kommt mir auch ziemlich bekannt vor. Und ist es nicht grossartig, dass man trotz der vermeintlichen Unterschiede keine gegenseitigen Beruehrungsaengste mehr hat? Alles braucht eben seine Zeit, think global! nach Diktat verreist -dwo

 

groove is in the heart
istanbul, 30.10.2004

samstagabend in beyoglu. menschenmassen schieben sich durch die altbauschlucht der istiklal caddesi, vorbei an unzaehligen cafes, bars, buch- und CD-laeden. in den seitenstrassen wird an kleinen tischen gegessen. alle paar meter ertoent eın neuer beat und wird gleich vom naechsten ueberlagert. wir steigen in einem alten treppenhaus ein paar stockwerke hoch und landen in der baraka-bar. der DJ steht vor seinem CD-regal und greift zum naechsten hit. red hot chili peppers, dandy warhols, manu chao, deee-lite... der junge spielt gute musik. alle paar minuten kommen neue leute rein, viele gehen freudestrahlend zu seinem kleinem verschlag, begruessen ihn (freut mich besonders fuer ihn). trainingsjacken, baseballkappen, gestiefelte frauen, dreadlocks, touristen, das ganze spektrum ist da. und waehrend ich mit woldo auf einem sofa begeistert bei bier und raki sitzgroove, denke ich, dass ich mich in den vergangenen zwei wochen nirgendwo so zuhause gefuehlt habe wie in beyoglu, dem "neuen" teil istanbuls (der haelfte noerdlich des goldenen horns, einer langen bucht. tatsaechlich ist dieses neu-istanbul auch schon mindestens 800 jahre alt). dasselbe volk wie bei uns, und alles so relaxed, keine genervten oder aggressiven gesichter wie etwa in bukarest. von st. pauli oder ottensen nach istanbul ist es ein katzensprung im geiste. mag sein, dass beyoglu nicht istanbul und istanbul nicht die tuerkei ist, genausowenig wie new york die USA repraesentiert. aber es ist AUCH die tuerkei, ueber die in den letzten wochen sich die journalisten und politiker der republik so ereifert haben. gestern war der 81. jahrestag der tuerkischen republik, doch premierminister und aussenminister waren zum ersten mal an diesem hoechsten staatsfeiertag nicht auf heimischem boden - sondern in rom, wo die regierungschefs der EU und ihrer anwaerter die EU-verfassung unterzeichneten. die tuerkischen zeitungen haben viel drueber geschrieben (wie in der presseschau der "turkish daily news" zu lesen). die grossen tageszeitungen haben diesen patriotischen lapsus wohlwollend kommentiert. die tuerkei ist im aufbruch. mag istanbul auch die avantgarde sein, die richtung stimmt. beim zweiten raki - der DJ ist zu hiphop und latin beats uebergegangen - habe ich die politik hinter mir gelassen. meine gedanken kreisen um st. pauli, phiesta und die bar centrale. hier in beyoglu sind sie besonders nah. nennt es den spirit des global village - fuer mich ist das an diesem abend ein zeichen dafuer, dass es nach 9/11 noch eine maxime ausser "war on terror" und al qaidas freudlosem djihad gibt. sie lautet: "groove is in the heart." -nbo

 

Ankunft
istanbul, 30.10.2004

Endlich! Das Meer, Sonne, echte warme Sonne! Jetzt ist es da, das Urlaubsgefuehl. Istanbul, eine Stadt, die man mit einem Satz ueberhaupt nicht beschreiben kann. Die Waesche trocknet auf der Terrasse vor unserem Hotelzimmer in einer Seitenstrasse der belebten Istiklal. Im sechsten Stock, mit Terrasse. Wie zu Hause! Voll der Luxus und das fuer schlappe 40 Euro. Auf der Preisliste an der Hotelrezeption standen 100 Dollar fuer das Zimmer. Keine Ahnung, wie ich das am Telefon gemacht habe, an meinem zarten Stimmchen kann bestimmt nicht gelegen haben. Das war bestimmt die Aishe in mir, tuerkischer Basar eben. Unten zieht ne Horde jubelnder Fussballfans vorbei. Rufen sie "Pauli, Pauli"? Nein, bestimmt nicht. Vielleicht werde ich es wissen, wenn es in fuenf Tagen weitergeht. Aber erstmal ankommen! nach Diktat verreist -dwo

 

Bosporus-Express
istanbul, 30.10.2004

14:00 Uhr, wir steigen in den Zug, der uns in sage und schreibe 20 Stunden nach Istanbul bringen soll, fuer eine Strecke von ungefaehr Hamburg bis Muenchen. Unser Schlafwagen entpuppt sich als marodes Klappergestell. Na denn, gute Nacht! Schaebig und voll auf den Hund gekommen. Aber dass das noch zu steigern ist, weiss ich, als ich aufs Klo gehe. Uhbah! Eine bestialisch stinkende Kloake, der man die Spuren der Menschheit nur allzu deutlich ansieht. Aber was solls. Wer muss, der muss. Akrobatische Toilettenturnuebungen, André Heller laesst gruessen. Maenner habens da echt einfacher! 21:00 Uhr, Schalfen befohlen! Unsere "Betten" werden ausgeklappt. Neben uns im Abteil wird schon deutlich hoerbar geschalfen, der Typ schnarcht wie nichts Gutes. In stockfinsterer Nacht, um viertel vor zwei, wird wie wild an unserer Abteiltuer geruettelt. "Passports!". Ah, die Grenze Bulgarien-Tuerkei. Die Paesse werden gestempelt und nach ner guten Stunde nehmen wir erneut Fahrt auf. OK., weiterschlafen, so gut es geht bei dem Geklappere und Geschaukel. Aber denkste! Wieder werden wir barsch wachgedroschen. "You have to go for visa!". Achso, also dann, Anziehen, raus auf den Bahnsteig, in die Schlage stellen und vom tuerkischen Grenzbeamten nen Stempel abholen. So, nun aber. Wieder ein ins Abteil, Klamotten aus. Der zweite Versuch einzuschlafen. Hah, weit gefehlt. Nach 40 minuetigem Aufenthalt an der Grenzstation meinen die tuerkischen Grenzbeamten jetzt nochmal jeden auf seinen Stempel im Pass kontrollieren zu muessen. Verstehe das, wer wolle. Dann endlich, aller guten Dinge sind drei, die letzten 5 Stunden bis Istanbul lassen sie uns dann doch ungestoert schlafen, danke. Woher der Zug seinen gloreichen Namen hat, ist mir ehrlich gesagt voellig schleierhaft. nach Diktat verreist -dwo

 

 

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