Krakau, eine Landpartie
krakau, 19.10.2004

Nachdem wir an unserem ersten Etappenziel Krakau einen Tag durch die illustren Strassen geschlendert sind, sitzen wir am Dienstag im Bus und schunkeln durch die Landschaft. Der Himmel lacht, doerfliche Idylle ausserhalb des Stadtzentrums. Bettwaesche lueftet an Balkongittern, der Futtermais ist noch auf den Feldern, hier mal ein Zementwerk, ein Autofriedhof. Eine Gegend, die es aehnlich auch bei uns gibt. Alles ganz friedlich, polnischer Alltag. Und zum Land gehoeren die Leute und zu den Leuten die Geschichte... Wir stehen auf dem Gelaende von Auschwitz. "Oh," mag manch einer denken, "sie machen eine Betroffenheitstour. Vom Voelkermord der Nazis ueber die Apartheid in Afrika bis zu den boesen Buren am Kap." Nein, tun wir nicht. Aber dort, wo uns die Geschichte eines Landes, die auch unsere eigene ist, anspringt, moechte ich nicht wegsehen. Ich koennte jetzt all die grausigen Eindruecke und Bilder zitieren, die jeder schon mal in Dokus gesehen hat. Aber das spare ich mir besser. Was mich allerdings viel mehr beschaeftigt hat im positiven Sinne, ist die Tatsache, dass es weitergeht. Egal wie, aber es tut's. Keiner von den 1,5 Mio. Toten wird je wieder lebendig. Das einzige, was wird tun koennen, ist, uns hin und wieder daran zu erinnern. Damit diese schlimmen Greueltaten, zu denen der Mensch faehig ist, nie wieder passieren. Und gerade, dass die Sonne lacht ueber den Baracken von Auschwitz macht das Ganze so grotesk. Aber so ist es eben, es geht weiter! Aehnlich muessen auch die Leute gedacht haben, die ihre Haeuser direkt neben dem Gelaende gabaut haben und deren Vorgaerten jetzt Naht an Naht mit dem Stacheldrahtzaun sind. Zugegebenermassen nicht gerade der schoenste Ausblick von Balkon. Das haette ich mir dann doch verkniffen. nach Diktat verreist -dwo

 

stadt des todes
19.10.2004, auschwitz/oswiecim

das wetter ist an diesem tag von einer guetigen ironie. die sonne scheint aus einem strahlend blauen herbsthimmel auf die reste der einstigen todesfabrik. nimmt ihnen den groebsten schrecken. unzaehlige reisegruppen schieben sich durch die KZ-wege. japaner schiessen entspannt das obligatorische urlaubsbeweisfoto vor dem tor, ueber dem der spruch "arbeit macht frei" prangt. polnische schulklassen reissen draussen auf eine zigarettenlaenge witze. das grauen liegt nicht einmal als schatten auf den gebaeuden. die monstrositaet des verbrechens ist kaum begreifbar. nur in den baracken, in denen berge von schuhen, koffern oder haaren der ermordeten fuer die nachwelt aufbewahrt sind, wird es in ansaetzen sichtbar. aber es verschlaegt mir dennoch die sprache. gerade, weil ich aus deutschland komme. schweigend ist mir der ort ertraeglich, alle vernehmlichen deutschen worte kommen mir schlagartig unglaublich deplatziert vor. sie sind hier oft genug gefallen. sie starren mich in buerokratischer kaelte aus den zahlreichen SS-schriftstuecken an, die in den vitrinen ausgestellt sind. dass die schergen keinen klaren kopf gehabt haetten bei dem, was sie taten, laesst sich beim besten willen nicht sagen. da wurde "mitgedacht", was das zeug haelt. einer ereiferte sich etwa, ob man das von den toten geraubte zahngold, das die wehrmachtsaerzte nicht brauchten, nicht - gegen eine "quittung" - der reichsbank zufuehren solle, wo es "sinnvoller" angelegt sei. akribische listen von haeftlingen, trockene paragraphenhuberei, totenscheine voller luegen... sicher habe ich vorher einiges darueber gelesen, habe auch "schindlers liste" gesehen. aber dies ist der ort des verbrechens selbst, nicht mehr von buchseiten oder kinoleinwaenden auf distanz gehalten. hier ist auschwitz, das schwarze loch der deutschen und auch der europaeischen geschichte. drei kilometer weiter in auschwitz-birkenau, dem zweiten, spaeter angelegten teil des KZ, weitet sich das ohnehin schon unfassbare noch einmal in seinen dimensionen. eine regelrechte stadt des todes oeffnet sich kilometerweit hinter jenem tor, das wir so oft auf alten aufnahmen gesehen haben. von vielen baracken sind nur noch betonpfeiler uebrig, ragen zahllos aus dem gras, das heute alles ueberwuchert. aber die nachmittagssonne laesst kein kopfkino zu. ich kann mir nicht vorstellen, wie hier 90.000 menschen eingepfercht in der maschinerie der vernichtung gelebt haben koennen. erst spaeter, als ich anna pawelczynskas buch "werte gegen gewalt. betrachtungen einer soziologin ueber auschwitz" (dt. 1994 erschienen) beginne, steigen erste bilder hoch. gerade die nuechternheit ihrer analyse, in der sie sich - bewusst, wie sie schreibt - ihrer eigenen auschwitz-erlebnisse enthaelt, ueberwaeltigt mich. mehr noch, beunruhigt mich. die zur floskel, zur politischen sonntagsrhetorik verkommene forderung "nie wieder auschwitz!" bekommt wieder kraft. orwells "1984" ist blass im vergleich zu ihrer beschreibung des KZ-systems. mir kommt carl amerys bemerkenswertes buch "hitler als vorlaeufer" in den sinn. amery argumentiert, dass das eindimensionale terror-weltbild des nationalsozialismus moeglicherweise nur ein erster testlauf fuer biopolitische apokalypsen des 21. jahrhunderts war, die durch globale umweltzerstoerung, ueberbevoelkerung und politische konflikte ausgeloest werden koennten. es sind kleinigkeiten wie jene porzellanisolatoren an den einst unter starkstrom stehenden stacheldrahtzaeunen oder die schlichten betonpfeiler, die zeigen, dass es sich hierbei nicht um relikte einer fernen epoche handelt, sondern um das technisierte 20. jahrhundert. die gegenwart ist nicht weit entfernt. man vergisst das nach 60 jahren leicht. das ausmass des vernichtungslagers mahnt aber auch: guantanamo oder der neue wall am westjordanland sind nicht auschwitz. die relation der graeuel verrutscht vielen heutzutage zu leicht, ja zu leichtfertig im ereifern ueber die weltpolitik. ein bild brennt sich mir an diesem nachmittag ein, dass mir eine gewisse erleichterung verschafft: es ist die wehende israel-flagge, die zwei israelische schulklassen ueber ihren koepfen halten. eine bestaetigung gandhis, der einmal schrieb: â€ûEs ist meine feste Ãœberzeugung, dass nichts Dauerhaftes auf Gewalt aufgebaut werden kann." -nbo

 

der schatten der geschichte
krakau, 18.10.2004

wir steigen im stadtteil kazimierz ab. im cafe mlynek am plac wolnica, ueber dem wir wohnen, haengen neue bilder zum verkauf. sie erinnern mich in ihrer rohheit ein bisschen an die von karlos artstore in st. pauli. rund um den plac nowy reihen sich die neuen bars und cafes aneinander. aber die szene ist nicht fuer touristen angerichtet. hier trinkt das neue krakau. die hochgelobte altstadt dagegen, durch die wir am naechsten tag streifen, ist mir zu huebsch, zu puppenstubenhaft. dass krakau "das muenchen polens" sei, wie jemand vorher gesagt hatte, kann man durchaus so sehen. fuer mich aber kein kompliment. mir kommt es vor, als sei die stadt, die einmal hauptstadt polens war, von einem jahrhunderte waehrenden schlaf am rande der habsburger-monarchie erwacht und putze sich nun heraus. als wir die dietl-allee aus der altstadt kommend richtung kazimierz ueberqueren, wird es gleich grauer und grossstaedtischer. strassen voller altbauten, die eher an friedrichshain oder das westliche lichtenberg erinnern. schon stehen wir vor dem alten juedischen friedhof am platz der szeroka-strasse. wir gehen in die synagoge, die daneben steht. ein altes paar beaufsichtigt streng die ankommenden touristen. ich fuehle mich ploetzlich nicht wohl in meiner haut. 65.000 juden haben bis zum zweiten weltkrieg und zum holocaust in kazimierz gelebt. beim anblick der gassen und fassaden fallen mir die "zimtlaeden" ein, jenes theaterstueck anfang der 90er in berlin, in dem die untergegangene welt der osteuropaeischen juden wie gespenster noch einmal lebendig wurde. nichts ausser ein paar schildern und zeichen an den hauswaenden ist uebrig geblieben, in kazimierz ebensowenig wie in anderen staedten der region. in einem dieser versuche, an die alte zeit anzuknuepfen, hatten wir am ersten abend gegessen. im restaurant "alef". am nachbartisch sassen vier alte, drei maenner und eine frau. sie sprachen hebraeisch. was der weisshaarige wohl 1943, 44 erlebt hat, fragte ich mich. die frau musterte uns zwischendurch mit einem blick, der sich nicht deuten liess. es war ja nicht zu ueberhoeren, wo wir herkommen. die geschichte holt einen immer wieder ein. morgen wird sie uns wohl eher wie ein nasses handtuch ins gesicht treffen, wenn wir nach auschwitz fahren. aber das muss sein. -nbo

 

 

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